Eine Hausarbeit von David Müller, 17.01.2008

Ethik, Hr. Fischer

Schuld und Moral in der Gesellschaft

“Dass Menschen in Schuld geraten, ist schlimm; aber sich schuldig zu fühlen und nicht an Vergebung glauben zu können, – das ist die Hölle.” –

Eugen Drewermann, Ich steige hinab in die Barke der Sonne

1. Vorwort Seite 02
2. Einleitung Seite 02
2.1. Hat man sie oder kriegt man sie? Seite 02
2.2. Definition Seite 03
2.3. Voraussetzung Seite 04
3. Wichtige Begriffe Seite 05
3.1. Gewissen Seite 05
3.2. Ethik Seite 05
3.3. Sitte Seite 05
3.4. Normen/Werte Seite 06
3.5. Moral Seite 06
4. Ebenen der Schuld Seite 07
4.1. Die moralisch-ethische Ebene Seite 07
4.2. Die juristische Ebene Seite 07
4.3. Die religiöse Ebene Seite 08
5. Persönlichkeit der Schuld Seite 09
6. Schuld als „künstliches Konstrukt“ Seite 09
6.1. Funktion der Schuld Seite 09
6.2. Entstehung der Schuld Seite 09
6.3. Schuld als „Macht“ Seite 10
6.4. Dynamisches Schuldverständnis Seite 11
6.5. Schuld in den Kulturen Seite 11
7. Schuldvoraussetzungen Seite 12
7.1. Absicht und Folge Seite 13
8. Psychologie und Auswirkungen Seite 14
8.1. Schuldgefühle Seite 14
8.2. Folgen von Schuldgefühlen Seite 15
8.3. Leben mit Schuld Seite 15
8.3.1. Vorbildlicher Weg Seite 15
8.3.2. Problematischer Weg Seite 16
8.4. Sigmund Freuds Betrachtungen der Schuld Seite 17
9. Die Religion und die Schuld Seite 18
9.1. Der Garten Eden Seite 18
10. Die Schuld als Verantwortung Seite 19
11. Das systemische Modell Seite 20
12. Schlussbetrachtung Seite 21
13. Abkürzungsverzeichnis Seite 22
14. Quellenverzeichnis Seite 23
15. Eidesstattliche Versicherung Seite 24

Schuld und Moral in der Gesellschaft | David Müller BG13A | 17.01.2008 |

Vorwort

„Schuld“. Ein mittlerweile sehr lapidar verwendeter Begriff, der weit öfter zur Anwendung kommt, als es eigentlich rechtmäßig wäre. In unserer Gesellschaft (die – wie im Weiteren näher ausgeführt – auch als „Schuldgesellschaft“ bezeichnet wird) spielt mein Thema eine große Rolle und eben deswegen fiel meine Wahl auch darauf. Bei meiner Internetrecherche begegnete ich mehreren Diplomarbeiten und Büchern, sowie umfassendsten Abhandlungen über die „Schuld“ und alle ihr untergeordneten Teilgebiete, sodass ich auf Grund der enormen Komplexität und Fülle an Informationen hinter diesem einen Wörtchen näher auf die Rolle der Schuld in und für unsere Gesellschaft eingehen möchte, da diese mittlerweile ein „Global Player“ ist.

Einleitung
Hat man sie oder kriegt man sie?
Ich möchte mit der Schilderung einer Szene auf einem Spielplatz beginnen. Hauptakteure dieser typischen Situation sind zwei Kinder, die friedlich eine Burg bauen. Nach Vollendung des Kunstwerks bei der Durchführung des anschließenden Freudentanzes rutscht einer der Beiden – nennen wir ihn Max – unglücklich aus und fällt in den Sandkasten, wodurch die komplette Arbeit der beiden binnen Sekunden zerstört ist. Wie zu erwarten, faucht sein Spielkollege Tobi ihn wütend an: „Man! Warum musst du immer alles kaputt machen? Du hast Schuld!“, woraufhin Max gereizt entgegnet: „Immer nur kriege ich die Schuld!“. An sich ja eine alltägliche Situation, der auch keine weitere Bedeutung geschenkt wird. Aber wie zu erwarten ist, spielt das wohl unbewusst verwendete Wörtchen „Schuld“ hier eine zentrale Rolle. Wenn wir uns näher ansehen, was Inhalt des Dialogs war, werden Fragen aufgeworfen. Was ist Schuld eigentlich? Hat man sie von Geburt an, wie etwa blaue Augen, oder kriegt man sie erst im Verlaufe seiner Entwicklung? Ist Schuld ein Dauerphänomen, gilt also „einmal Schuld, immer Schuld“? Angenommen, es würde ein Mordfall vor Gericht verhandelt werden und es wäre bekannt, dass der Straftäter sowieso schon seit jeher die „Schuld“ als solche mit sich trägt, wäre die Situation für den Richter objektiv zu klären, da die Schuld als solche fest zum Täter gehört. Er bräuchte also nur zu entschlüsseln und wertungsfrei feststellen, dass der Straftäter „schuld“ ist. Natürlich kommen wir mit diesem Ansatz nicht weit, denn sonst hätten wir eine Unterteilung in „Schuldige“ und „Unschuldige“ ab Geburt, die Unschuldigen verhalten sich generell richtig und gut, die Schuldigen sind in der Regel die Übeltäter. Da eine angeborene Schuld von religiöser Deutung abgesehen wohl kaum der Fall sein kann, bekommen wir Schuld erst im Verlauf unseres Lebens. Das Gericht als bewertende Instanz und Vertretung des Volkswillens ist nun also angehalten, die Auswirkungen und Folgen des Getanen auf die Gesellschaft abzuwägen und demnach eine Strafe zu verhängen.
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Der Prozess der Schuldzuweisung wird rechtlich gesteuert. Und das zeigt auch, dass eine absolut korrekte Schuldfeststellung so nicht möglich ist und immer andere Bewertungsfaktoren einer Tat, genau wie menschliche Irrtumsmöglichkeit, in der Wahrheitsfindung eine Rolle spielen. Vor etwa 500 Jahren kam ein damaliger Gerichtsmediziner auf die Idee, sich die Menschen in den Gefängnissen genauer anzusehen. Was er fand, war ernüchternd und für ihn eindeutig: Die Insassen der Gefängnisse waren beinahe ausschließlich kleine, gedrungene und vernarbte Personen mit schelmisch-argwöhnischem Grinsen. Die Schlussfolgerung für den Gerichtsmediziner lag nahe: So sehen Straftäter aus! Diese Feststellung manifestierte sich in den Köpfen der Menschen und Fälle mit kleineren, narbengezeichneten „potentiell Schuldigen“ wurden pauschal bereits vor Prozessbeginn als „abgeschlossen“ geführt, da dies sowieso eine schuldige Person sein muss. Nun wird klar, warum ich das Beispiel der „generell gegebenen Schuld“ in Verbindung mit der menschlichen „Irrtumsmöglichkeit“ gewählt habe: Ist ein Mensch erst in Ungnade gefallen und stellt sich häufiger als wirklich „Schuldiger“ heraus, so neigt die Wahrheitsfindung seiner Mitmenschen schnell dazu, ihn urteilsfrei als schuldig „abzustempeln“. Max aus dem Eingangsbeispiel hatte offensichtlich das Pech und äußerte sich höchst unzufrieden über Tobis Feststellung: Er hatte wohl all zu oft Schuld als „Machtkalkül“ von anderen Personen und vielleicht sogar Autoritäten zu spüren bekommen, wonach er ohnehin wusste, dass er für jedwede Tat die Schuld erhalten wird. Auch wenn er sich in diesem Fall offensichtlich selbst im Klaren darüber sein muss, dass er der alleinige Urheber seiner Tat ist, wehrt er sich vehement gegen weitere Schuldzuweisungen, da er sich stark benachteiligt fühlt und vielleicht sogar das denkt, was eigentlich gerade ausgeschlossen wurde: „Ich bin mit meiner Schuld geboren“.

Definition
Das hilft uns allerdings noch nicht bei der Definition von Schuld weiter. In erster Linie, bedeutet „Schuld sein“, etwas bewirkt zu haben. Dabei ist es allerdings die falsche Schlussfolgerung, dass „nichts-tun“ auch automatisch „nicht schuldig“ bedeutet, wenn man z.B. unterlassene Hilfeleistung betrachtet. Dabei wird Schuld auch häufig in einem Zusammenhang mit „Verantwortung“ genannt, worauf ich im Weiteren ebenso noch eingehen werde. Das Wort selbst kommt von „sollen“: Wenn ich anderen Menschen verpflichtet bin (ihnen etwa bestimmte Versprechen gemacht habe) oder gegen eine moralische Wertvorstellung verstoßen habe, bin ich ebenso „schuld“, wie wenn ich andere Menschen geschädigt habe oder (strafrechtlich) gegen ein Gesetz verstoßen habe. Das Verständnis von Schuld ist „dynamisch“ und hängt von der jeweiligen Gesellschaft und Personengruppe ab. Dabei ist eine Person vor dem Strafrecht allerdings nur als schuldig zu betrachten, wenn sie die rechtswidrige Handlung nicht unterlassen hat, obwohl sie sie unterlassen konnte, also die freie Wahl hatte. Denn was der Täter vorher selbst bei genauster Überlegung nicht bedenken konnte, darf ihm auch nicht angelastet werden. Weiterhin dürfen keine Gründe für Schuldausschließung vorliegen (wie z. B. Unzurechnungsfähigkeit oder Notwehr). Der Ablauf ist im Optimalfall der Folgende: Schuldeingeständnis, Sühne, Strafe, Wiedergutmachung, Versöhnung. „Schuld“ ist aber nicht nur auf den Gerichtssaal und die Justiz zu beziehen.
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Wir können auch eine „moralische“ Schuld bewirkt haben, bei der der Richter unser Umfeld ist. Dabei ist der Ablauf trotzdem in stark abgewandelter Form in den Grundzügen mit einem Gerichtsprozess vergleichbar. In § 46 StGB heißt es „Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe.“ Doch wie „misst“ man Schuld, welche Bereiche unseres Lebens betrifft das Thema genau und wie ist die „moralische Schuld“ genauer zu beschreiben? Diese Kurzdefinition hat mehr Fragen aufgeworfen, als sie beantwortet hat. Auch wenn dies philosophisch betrachtet sicher eine Glanzleistung war, kann dies dem Anspruch einer Hausarbeit nicht gerecht werden. So werden sich die restlichen Seiten mit einem genaueren Bezug auf diese Definition beschäftigen und alle vor mir als relevant erachteten Teilthemen weitere Beachtung finden.

Voraussetzung
Um über Schuld sprechen zu können, muss eine gewisse Voraussetzung erhoben werden, ohne die der nachfolgende Teil dieser Arbeit wohl wertlos wäre. Nur wenn man davon ausgeht, dass der Wille des Menschen frei ist, wir uns nach Belieben entscheiden können und nicht „gelenkt“ werden, ist der Begriff der „Schuld“ überhaupt zulässig. Unsere „freie“ Entscheidung ist nach dem Ansatz des Determinismus nichts weiter als ein logisches Ergebnis unserer Entwicklung, auf die wir sowohl im genetisch-hormonell-biologischen, als auch im privat-geschäftlich-kommunikativ-sozialen Sinne keinen Einfluss haben („Wir können tun, was wir wollen. Aber wir können nicht wollen was wir wollen.“). Dieser „Pauschalfreispruch“ macht jegliche, weitere Diskussion über Schuld unerheblich, Richter würden arbeitslos werden. Diese Situation lässt sich als durchaus paradox beschreiben: Einerseits versuchen wir also, unsere Missetaten auf unsere „Entwicklung“ und die Gene zu verschieben, andererseits haben wir ein Verständnis von Freiheit und Selbstbestimmung, indem wir sehr ungern eingeschränkt werden. Mehr Freiheit bedeutet gleichermaßen aber auch eine höhere „Chance“, „schuldig“ zu werden. Bei allem Fortschritt auch in der Technik ist sicher nicht alles „gut“, was möglich ist. Die Definition von Schuld hängt also wie beschrieben davon ab, in wie fern wir den Mensch und seine Entscheidungsfähigkeit als „frei“ bezeichnen. Da allerdings weder der Determinismus, noch der Indeterminismus bewiesen ist (und wohl auch nicht bewiesen werden kann), hat all dies keine Auswirkungen auf das Strafrecht – auf die „moralische Schuld“ schon gleich gar nicht.
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Wichtige Begriffe Da ich folgende Begriffe häufig verwenden werde und mich über deren genaue Bedeutung selbst erst eingehender informieren musste, werde ich hier kurz eine Zusammenfassung in Verbindung mit der Bedeutung des jeweiligen Begriffs für meine Hausarbeit anbringen.

Gewissen
Das Gewissen bezeichnet eine spezielle Instanz im menschlichen Bewusstsein, die ihm sagt, wie er sein eigenes Handeln beurteilen soll. Es drängt den Menschen, aus ethischen bzw. moralischen Gründen, bestimmte Handlungen auszuführen oder zu unterlassen. Das einzelne Gewissen wird meist als von Normen der Gesellschaft aber auch von individuellen, sittlichen Einstellungen der Person abhängig angesehen. Besonders im Bezug auf Schuld hat das Gewissen eine zentrale Bedeutung, da hier die Entscheidungen über „gut“ und „böse“ getroffen werden.

Ethik
Die Ethik ist der Handlungsbogen, den die Gesellschaft vorgibt. Dabei ist sie die Lehre des guten, menschlichen Handelns und versucht sich an der Erarbeitung von allgemeingültigen Normen und Werten, um Menschen eine Hilfe für sittliche Entscheidungen zu liefern. Auch zur Bewertung einer Handlung und ihrer Folgen ist die Ethik heranzuziehen, was sie auch für die Thematik der Schuld enorm bedeutsam macht (siehe später „normative Ethik“).
Sitte
Die Definition der Sitte lautet in allen Kulturen gleich: Sie will Gutes erreichen und Böses vermeiden, wie auch immer diese Begriffe in der jeweiligen Gesellschaft definiert sind. Sittlich handeln ist nur aus gutem Gewissen und nicht aus Furcht vor Sanktionen möglich. Dabei ist die Sitte universell für jedes Mitglied einer Gesellschaft gültig und regelt das „erwünschte“ Verhalten. Beruhend auf Tradition und Gewohnheit unterliegen die Sitten einem sozialen Wandel, was auch die Bedeutung für die Schuld aufzeigt: Veränderte Sitten haben veränderte Moralwerte zur Folge, die auch die Definition von Schuld wandeln lassen.

Normen/Werte
Normen verstehen sich als Wegweiser und verbindlich anerkannte Regeln, die gewisse gesellschaftlich akzeptierte Verhaltensmuster anbieten und Orientierung liefern. Dabei regeln Normen das Mit- und Nebeneinander in der Gesellschaft und stellen „Erwartungssicherheit“ im Umgang miteinander her. An den geltenden Werten und Normen orientiert sich die „Schuldzuweisung“ ebenso.

Moral
Wer das Wohl und Wehe seiner Mitmenschen berücksichtigt, handelt moralisch. Dabei wird die Moralentwicklung durch eigene, freie Entscheidungen geprägt. Moral kann entlasten, weil sie z.B. ständige „Neuprüfungen“ von Situationen überflüssig macht: Ich muss dank der Moral nicht bei jeder Entscheidung neu überlegen, wie ich mich verhalten will. Die Moral umfasst das System von Empfindungen und Erwartungen sowie Normen, Werten und Grundsätzen, das in einer Gemeinschaft bestimmt, wie gehandelt werden soll und wie nicht. Dabei muss die Moral um als solche zu gelten vom überwiegenden Teil der Gesellschaft als verbindlich akzeptiert oder zumindest hingenommen werden. Moral fließt zu einem nicht unbedeutenden Teil auch in die Gesetzgebung ein, da die Gesetze im Optimalfall der Ausrichtung der Gesellschaft folgen sollten, in der sie zum Einsatz kommen.

Ebenen der Schuld

Um den Hauptteil dieser Arbeit zu beginnen, möchte ich die drei verschiedenen Ebenen, in die die Schuld untergliedert wird, vorstellen. Dies ist bedeutsam für den weiteren Verlauf, da ich immer wieder auf diese drei Instanzen zurückgreifen werde.

Die moralisch-ethische Ebene
Diese Ebene ist sowohl auf das persönliche Gewissen, als auch auf das eigene Ansehen im sozialen Umfeld zu beziehen. Sollte ich eine Tat begehen, die sich mit meinen persönlichen, in meinem Moral- und Werteempfinden verankerten sittlichen Normen oder mit den Normen und Werten von durch meine Tat betroffenen Personen nicht vereinbaren lässt, bin ich im weitesten Sinne „schuldig“. Ob ich dies, betreffend meines Umfelds, auch selbst so auffasse, ist ein anderes Thema, welches ich im weiteren Ablauf noch behandeln werde. Bei der Schuld im Sinne der moralisch-ethischen Ebene entscheide ich mich frei (d.h. ungezwungen) und bewusst (d.h. willentlich und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte) für meine Tat, von der ich weiß, dass sie schlecht ist. Voraussetzung ist besagte freie Entscheidung, sollte ich zu einer gewissen Tat gezwungen werden, gelte ich nach obigem Sinne als schuldfrei. Hierbei findet immer eine Abwägung zwischen meiner Pflicht und den Interessen meines Umfelds sowie meinen eigenen Interessen statt. Sollte ich zum Beispiel ein inneres Verlangen verspüren, aus persönlichem Interesse um nicht mehr in die Schule gehen zu müssen, ein Feuer am BG Gelnhausen legen, würde ich gegen zahlreiche Interessen verstoßen, etwa die meiner Lehrer, die finanziellen Interessen des Kreises und damit aller Bürger, das Interesse meiner lernbegeisterten Mitschüler etc. Die Bestrafung bei Verstößen gegen meine eigenen moralischen Werte führe ich persönlich durch, etwa in Form von Selbstbestrafung. Sollte ich gegen moralische Werte anderer Personen verstoßen haben, so könnte die Bestrafung – je nach Schwere des Verstoßes – etwa Ächtung, Beschimpfung, Verachtung oder Ermahnung sein. Hierbei muss der Betroffene diese Art der Bestrafung natürlich auch erst als solche empfinden. Natürlich kann ich (was sogar den häufigsten Fall darstellen sollte) auch gegen gesellschaftliche Moral und gegen (meine) persönliche Moral gleichermaßen verstoßen.

Die juristische Ebene
Hierbei werden Verstöße gegen geltende Gesetze bei nicht-eintreten von Schuldunfähigkeit als Voraussetzung je nach „Erfolg“ der Tat und unter Berücksichtigung von „Strafmilderungskriterien“ wie Reue und einem eventuell abgelegtem Geständnis nach Schwere des Vergehens und unter Wahrung der geltenden Gesetze bestraft. Dabei sind die Kriterien der Schuldunfähigkeit weitgehend vergleichbar mit denen der moralisch-ethischen Ebene, da auch hier eine freie Entscheidung meinerseits als Grundlage für meine Schuld geboten sein muss.
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Ausschlaggebend ist nur die Folge, nicht aber die Gesinnung, die mich zur Tat getrieben hat. Selbstverständlich kann allerdings das Zeigen von Einsicht und Reue nach Begehen der Tat als Milderungsgrund auch vor Gericht gelten. Das Recht nimmt direkte Einflussnahme auf das menschliche Leben zur Sicherung der sozialen Harmonie und Stabilisierung des Zusammenlebens und Gemeinwohls. Die Durchsetzung ist entgegen „moralischer Strafe“ erzwingbar. Auf diese Ebene wird später noch weiter eingegangen, weswegen ich mich an dieser Stelle mit einer oberflächlichen Definition begnüge. Wichtig zu erwähnen ist allerdings noch, dass moralisch-ethische Schuld und juristische Schuld sehr oft parallel einhergehen. So fühle ich mich selbst in der Regel für eine eigene Verfehlung, welche zusätzlich mit Gefängnis bestraft wird, auch persönlich schuldig. Sollte ich zu Unrecht verurteilt worden sein, so habe ich trotz anhaltender Gefängnisstrafe ein „reines Gewissen“, wohingegen mir diejenigen Menschen aus meinem Umfeld, die nicht von meiner Unschuld und einem Justizirrtum in meinem Fall überzeugt sind, immer noch eine moralische Schuld zusätzlich zu meiner juristischen Schuld anlasten würden. Auch andersherum ist dies möglich: Sollte ein Täter nach Kindesmissbrauch, den er unter Alkoholeinfluss als mildernden Umstand begangen hat, nur zei Jahre Bewährungsstrafe erhalten, ist die eigene moralische und gesellschaftlich zugewiesene Schuld wohl auch noch weit nach Verstreichen der juristischen Strafe präsent. Ebenso kann ein Staatsanwalt trotz einer Einigung der beiden Parteien vor Gericht an der Durchsetzung einer Strafe interessiert sein, wenn etwa gegen geltende Gesetze verstoßen wurde. Trotz besagter Einigung und einer „Vergebung“ des Geschädigten kann demnach eine Gefängnisstrafe verhängt werden.

Die religiöse Ebene
Auch darauf werde ich im Kapitel „Religion“ näher zu sprechen kommen, in dieser Ebene steht „Schuld als Sünde“ vor Gott, spezieller das menschliche „Nein“ zum Liebesangebot Gottes verursacht durch die Ursünde im Mittelpunkt.
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Persönlichkeit der Schuld Am Beispiel der Kollektivschuld wird schnell deutlich, dass Schuld ein individuelles Phänomen ist, welches (zumindest im nicht-religiösen Sinne) zudem nicht weitervererbt werden kann. Die Kollektivschuld wird nicht durch individuelle Schuldzurechnung, sondern bloß durch die moralische Verantwortung einer Mitgliedschaft in einer Gruppe begründet. In Deutschland gilt individuelle Gerichtsbarkeit und die Verantwortung jedes Einzelnen, auch wenn die Taten zusammen begangen wurden. Gemeinhin wird demnach weder von einer kollektiven Schuld, noch von einer kollektiven Unschuld gesprochen, sondern beispielsweise im Fall des Nationalsozialismus von einer „kollektiven Verantwortung“ aller Menschen, sodass sich solche Verbrechen nicht wiederholen. Schuld als „künstliches Konstrukt“

Funktion der Schuld
„Wir brauchen Schuld“. Erstmal mag dieser Satz widersinnig klingen. Bei näherer Betrachtung, wozu die Schuld dient und welche Auswirkungen sie auf uns hat, wird allerdings klar, dass jedes Individuum mit seinem eigenen Schuldempfinden beträchtlich von ihr geprägt wird. Schuld zwingt uns also gewissermaßen (u.a. auch aus Furcht vor den Konsequenzen) zu guten Taten und macht uns gesellschaftsfähig. Wir werden mit der Moral und den Wertvorstellungen unserer Gesellschaft durch die Erziehung und das Beisammensein mit anderen Menschen geprägt und befinden uns in einem ständigen Lernprozess. Ganz der Theorie des „Konstruktivismus“ folgend, passen wir unsere persönliche Realität fortwährend den äußeren Gegebenheiten an und versuchen damit, als „Konstrukteur“ unserer eigenen Weltansicht Probleme zu vermeiden – z.B. Probleme, die durch die Nachwirkungen von Schuld auf uns zukommen. Ganz klar angestrebt ist also ein „schuldfreies Dasein“. Die Gesellschaft schützt sich durch die Schuld selbst, es werden Grenzen aufrecht erhalten, die für jedes Mitglied des Ganzen relevant sind und nicht übertreten werden dürfen.

Entstehung der Schuld
Die Überschrift verrät es bereits: Es gibt keine feste und allgemeingültige Definition von Schuld, an der sich alle Kulturen orientieren. Ein Geschäftsmann, der unvorbereitet nach Japan fliegt, um dort etwa einen Vertragsabschluss zu unterzeichnen, wird dort sehr viele Fehler machen und würde gegen zahlreiche Regeln dieser grundlegend anderen Gesellschaft verstoßen. Wenn wir uns die Dynamik im Schuldverständnis ansehen, wird schnell klar, dass Schuld ein künstlich von Menschen erschaffenes Phänomen ist. In der Natur gibt es keine Schuld, Triebe sind also weder „gut“ noch „böse“, sondern werden bloß als solche aufgefasst. Kein Mensch kommt mit einem Schuldgefühl auf die Welt, sondern bekommt dieses erst durch die Vermittlung der Werte seiner Kultur, in die er „hineingeboren“ wird, implantiert.
Zum Beispiel leben die Eltern ihren Kindern vor, wann und wie man sich korrekt und gesellschaftlich anerkannt „schuldig“ zu fühlen hat. Etwa die im Kindesalter als absolut normal empfundene Situation des „Nacktseins“ wird durch Erziehung schnell als Schuld dargestellt, die es in der Öffentlichkeit tunlichst zu unterlassen gilt. Unsere Religion und unsere ethischen Werte bestimmen unser Schuldverständnis, welches uns letztlich lenkt. Und dies ist in rationalen Bahnen auch richtig und nötig, weil der Mensch sonst in einer Gesellschaft nicht als solcher „funktionieren“ könnte. Eine wichtige Rolle spielt hierbei unser Gewissen. Es baut auf unseren grundlegenden Vorstellungen dessen auf, was wir als „gut“ und „böse“ definieren. Wenn uns als moralisch total korrekter Wert verkauft worden wäre, alten Omas ein Bein zu stellen, würde niemand in unserer Gesellschaft ein Schuldgefühl bei solch einer Tat entwickeln.

Schuld als „Macht“
Wie beschrieben hat Schuld einen beachtenswerten Einfluss auf unser Dasein. Ein Mensch mit übertriebenem Schuldempfinden, der sich grundlos für alles schuldig fühlt, würde gnadenlos ausgenutzt werden, was seine Situation aufs Neue verschlimmert. Schuld wird also auch benutzt, um uns zu lenken. Und auf diesem Weg funktioniert auch unsere Konsumgesellschaft: Wir bekommen im Supermarkt am Eingang ein Glas Wein kostenlos, dürfen Obst probieren und werden gegebenenfalls noch von freundlichem Personal empfangen. Würden wir uns nicht schlecht fühlen, wenn wir nicht wenigstens eine kleine Flasche des angebotenen Weins kaufen würden? Auch bei zwischenmenschlichen Beziehungen wird die Schuld missbraucht: Wer mir etwas schuldet, den kann ich dirigieren, habe Kontrolle über ihn. Demnach wäre es doch von Vorteil, auch bei einer banaleren Angelegenheit übertrieben erzürnt zu reagieren, um damit länger die Kontrollmöglichkeit über diese Person durch ihr Schuldempfinden zu behalten. Allerorts wird uns eingeredet, „schuld“ zu sein, eben weil diese Taktik eine hervorragende Möglichkeit darstellt, einen eigenen Vorteil und Kontrolle zu erlangen. Da Menschen in beschriebenem Ausmaß anfällig für Schuldzuweisungen sind, lassen sich grundlegend zwei Zustände erkennen: Entweder wir fühlen uns schuldig oder wir geben anderen die Schuld. Bestes Beispiel ist der Nationalsozialismus: Wirtschaftskrise, Krieg verloren, Reparationszahlungen, Hunger. Grob umschrieben ist das die Situation des deutschen Volkes um 1930. Doch wer kommt und profitiert geschickt durch Schuldzuweisungen und den „Sündenbockmechanismus“? Auf einmal sind die Deutschen nicht mehr selbst schuld an der Situation, es sind die Juden! Man hat einen gemeinsamen Feind, kann seine vereinten Kräfte nun gegen die Übeltäter richten und erfährt ein neues Gemeinschaftsgefühl. Wo vorher gegenseitige Schuldzuweisungen und eigenes Schuldbewusstsein gebremst haben, fungiert nun die Schuld als Motor eines ganzen Landes.

Der Mensch hat natürlich Mechanismen entwickelt, um möglichst selten der Schuldige zu sein. So wird oft kein Trick ungenutzt gelassen, um die Schuld auf andere zu lenken oder etwa durch wortgewandte Redekunst und Rationalisierung des Geschehenen seine eigene Lage in ein rechtes Licht zu rücken. Um beim NS-Beispiel zu bleiben, sei etwa auf den Begriff „Bombenholocaust“ verwiesen, welcher frei nach dem Prinzip „Angriff ist die beste Verteidigung“ die Tatsachen gekonnt verdreht, um von eigener Schuld abzulenken.
Dynamisches Schuldverständnis
In anderen Kulturen ist Geschlechtsverkehr mit Mädchen ab 14 erlaubt und mag dort sogar die gängige Praxis darstellen. Unvorstellbar in Deutschland, „gibt es denn dort keine Strafen für sowas?“ mag sich manch einer fragen. Die Antwort lautet „nein“, weil dies dort nicht als schuldhaftes Vergehen angesehen wird. Gewisse Handlungen werden recht willkürlich durch Entwicklung und Wille / Moral des Volkes für rechtswidrig erklärt. Dabei meint „Willkür“ dynamisch, veränderbar. Das meistgenutzte Beispiel ist das Töten im Krieg, welches für den Soldat eine Heldentat darstellen kann, allerdings zu Friedenszeiten das schwerste, begehbare Verbrechen darstellt. Diese situationsabhängige Schuldbewertung zeigt gut, dass Schuld als künstliches Konstrukt des Menschen ebenso dynamisch mit dem Wandel der Zeit angepasst wird.

Schuld in den Kulturen
Psychologen unterteilen unsere Kulturen vornehmlich nach 2 verschiedenen Grundeinstellungen: Die Scham und die Schuld. Die Deutsche und westeuropäische Kultur allgemein ist so eine eher schuldgeprägte, was sich auch in unserem „ausgefeilten“ Rechtssystem widerspiegelt. Bei einem Verstoß gegen ein Gesetz wird der „Schuldige“ solang gesucht, bis er gefunden wurde. Abhängig von seinem Verhalten, seiner Gesinnung und natürlich der Schwere seiner Tat wird er gerecht bestraft oder ihm wird vergeben. Diese sog. „Schuldkultur“ legt den Fokus also auf Wiedergutmachung und Systemerhaltung durch Fairness und Strafe. Die öffentliche Entschuldigung für sein Vergehen ermöglichte so selbst nach dem Meineid Clintons seine Fortführung des Amtes als Präsident der Vereinigten Staaten. Dieses Zeigen von Reue in Kombination mit der Übernahme von sozialen Rollen und Pflichten vergibt selbst ein solches Vergehen dieser Schwere in der Öffentlichkeit einer Schuldkultur schnell.
Ganz anders im direkten Gegenpart, der „Schamkultur“: Dort ist das menschliche Moral-Denken viel mehr auf die Wiederherstellung von Ehre bedacht. Der Einzelne zählt verglichen mit der Gemeinschaft sehr wenig, deshalb können nur alle Repräsentanten einer Gruppe gemeinsam bei gleichzeitigem, korrektem Verhalten zur Aufrechterhaltung der Ehre besagter Gruppe beitragen („kollektive Ehre“). Ein Phänomen wie sogenannte „Ehrenmorde“ an Mädchen islamischen Glaubens können von Mitgliedern einer „Schuldgesellschaft“ nur schwer verstanden werden: Wenn eine junge Muslimin vergewaltigt wird, so beschmutzt sie die Ehre ihrer Familie. Bei Bekanntwerden in der Öffentlichkeit kann dies nur durch den Tod des Mädchens korrigiert werden, erst dann ist die Familienehre wiederhergestellt. Dabei ist die Rolle des Täters (völlig gegensätzlich zur Schuldkultur) von eher geringerer Bedeutung.

Ein weiteres Beispiel (was sich sicherlich nicht pauschalisieren lässt, allerdings gut zur Erklärung dieser beiden Kulturen verwendet werden kann): Wird ein Dieb nicht auf frischer Tat ertappt, so gab es keinen Diebstahl. Eine Ermittlung in diesem Fall wäre beschämend, da allein die Frage, ob es denn Person X getan haben könnte, an ihrer Unschuld und demnach an ihrer Ehre zweifelt, was unverzeihlich ist. Probleme können bei solch gegensätzlichen Mentalitäten leicht aufkommen, wenn man etwa die Immigration thematisiert. Schuldvoraussetzungen Ist Schuld, wer böses macht? Ist Schuld, wer böse ist? Ist Schuld, wer böse denkt? Wie ich eingehend bereits als Bedingung vorausgesetzt habe, gehen wir von der Theorie der Willensfreiheit aus und bezeichnen keinen Mensch als „böse geboren“ (siehe Kapitel „Die Religion und die Schuld“). Voraussetzungen für Strafe im juristischen Sinne ist die Schuldfähigkeit, die voraussetzt, dass es sich beim Täter um eine Person über 14 Jahren handelt, d.h. das der Täter eine entsprechende geistige Reife hatte, um zu erkennen, dass seine Tat verwerflich war. Dies greift auch bei geistig behinderten oder temporär nicht zurechnungsfähigen Personen (etwa Alkoholkonsum). Ein weiterer Schuldausschließungsgrund ist die Unfähigkeit des Täters, die Folgen seiner Handlung absehen zu können. So muss zum Zeitpunkt der Tatbegehung für den Täter absehbar gewesen sein, dass er gegen besseres Wissen verwerflich handelt, obwohl er die Alternative gehabt hätte. Weiterhin ist das Unrechtsbewusstsein anzuführen. Ohne die nachträgliche Erkenntnis, dass die eigene Handlung zu einer moralischen Verfehlung geführt hat, ist ebenso keine Schuld vorzuwerfen. So muss vom Täter also Gut und Böse unterschieden werden können und eine gewisse sittliche Reife vorliegen, um ihm Schuld zuzuweisen. Natürlich wird dem Täter auch trotz anerkannter Schuldunfähigkeit in der öffentlichen Meinung (Klatsch und Tratsch) oft die Schuld zugesprochen. Theoretisch dürfte man aber niemanden schuldig sprechen, der sich entsprechend seiner Entwicklung und Erziehung verhält, selbst wenn er damit gesellschaftliche Normen verletzen sollte. Albert Camus entgegnet allerdings „Ab dreißig ist jeder für sein Gesicht verantwortlich – muss der Mensch erkennen, dass er einen gewissen Spielraum hat und dass es einfach zu billig ist, sich auf „die Verhältnisse“ herauszureden.“ Camus macht allerdings eine deutliche Einschränkung und beziffert ein Alter, sodass ihm wohl selbst durchaus bewusst ist, dass eine Schuldzuweisung, die entgegen der genossenen Erziehung (meint: komplettes soziales Umfeld) ausgesprochen wird, sehr problematisch sein kann. Denn wie soll ein Angehöriger eines anderen Kulturkreises die exakte Definition von Schuld hierzulande kennen? Wer „böses denkt“ ist vor dem Gesetz mangels Beweisen logischerweise nicht zu belangen, allerdings kann sein eigenes Schuldbewusstsein – wie besagt auch bereits bei als „verwerflich“ eingestuften Gedanken – aktiv werden und diese verurteilen.

Absicht und Folge
Man unterscheidet die beiden Begriffe „Verantwortungsethik“ und „Gesinnungsethik“, die ich nachfolgend etwas näher auf ihre Relevanz zur Schuldthematik untersuchen werde. Die Verantwortungsethik zielt auf die Verantwortbarkeit der Folgen einer Tat ab. D.h., dass die tatsächlichen Ergebnisse der Handlung als Bewertungskriterium dieser dienen. Die Gesinnung sowie die Moral oder das Motiv des Täters ist hierbei irrelevant. Der „normative Schuldbegriff“ orientiert sich an der Theorie der Verantwortungsethik, bei dem sich die Bewertung einer unethischen, vermeidbaren Handlung auf die Auswirkungen dieser beruft. Parallel zur Verantwortungsethik existiert die sog. Gesinnungsethik, bei der das Motiv des Handelnden das zählende Kriterium darstellt. Wichtig ist also nicht, was letztendlich erreicht wurde, sondern was vom Täter angestrebt war (Motiv, Absicht, Gesinnung). Nach dieser wäre z.B. Tyrannenmord und Folter nicht zu verantworten, da solch eine Tat gegen die von der Vernunft definierten Werte verstößt (Menschenwürde, Recht auf Freiheit…) und als Bewertungsmaßstab die Gesinnung (also den Mord) und nicht wie es die Verantwortungsethik utilitaristisch auslegen würde, die konkreten Ergebnisse und Folgen des Mordes (also Befreiung des Volkes von einem Diktator, Rettung mehrerer Menschen) heranziehen würde. In der christlichen Religion nimmt die Gesinnungsethik (wie später noch weiter erläutert) eine zentrale Rolle ein, da die Absicht in den Mittelpunkt gestellt wird. Nach Gesinnungsethik sind ethische Gleichgültigkeit oder gar Feindschaft gegenüber ethischem Verhalten in der Gesellschaft verwerflich, wonach die Definition der psychologischen Schuld einhergeht: Als Schuldmaßstab ist die persönliche Beziehung des Individuums zu seiner Handlung und das Wollen/Nichtwollen seiner Tat bzw. die Kenntnis/Unkenntnis über ein geltendes Verbot relevant, nicht jedoch die Auswirkungen. Problematisch ist es bei der Gesinnungsethik, die „wirkliche Gesinnung“ eines Menschen bzw. die „wirkliche Unkenntnis“ über ein Verbot zu prüfen. Allerdings ist auch nach der Verantwortungsethik schwer abzuschätzen, was meine Handlungen in der Realität für Auswirkungen haben werden, auch wenn ich definitiv gute Absichten hatte.

Psychologie und Auswirkungen
Schuldgefühle
Schuldgefühle werden von uns allgemein als Gefühle mit einer Tendenz zur Selbstbestrafung aufgefasst: „Warum habe ich denn da nicht anders reagiert, ich habe mal wieder versagt!“ Schuldgefühle sind unabhängig von der Androhung einer Strafe und allein in uns selbst begründet. Ausgelöst werden sie durch unseren eigenen Verstoß gegen die persönliche Moral. Angenommen, jemand versucht mich für eine Sache schuldig zu sprechen, von der ich genau weiß, dass ich mich in ihr nicht schuldhaft verhalten habe, werden auch in mir keine Schuldgefühle ausgelöst. Da aber Schuldgefühle genau wie das Verständnis von Schuld abhängig von der Erziehung, der Gesellschaft und anderen sozialen Faktoren sind, kann Menschen auch Schuld „eingeredet“ werden, was immer eine Anpassung der persönlichen Moralvorstellungen und des eigenen, konstruktivistischen Weltbildes zur Folge hat: „Vielleicht war es ja doch so, wie er/sie gesagt hat. Vielleicht bin ich wirklich schuld.“ In der Regel handeln wir selten gegen unsere eigenen, besagten Moralvorstellungen. Demnach ist unser Handeln in der jeweiligen Situation oft „für uns“ richtig, erzielte jedoch nicht die beabsichtigte Wirkung. Persönliche „Schuldgefühle“ werden so mit einer wesentlich geringeren Wahrscheinlichkeit eintreten, als wenn wir nach dem Vollbringen einer „gutgemeinten“ Tat erfahren, dass diese nicht die beabsichtigte Wirkung erzielte. Schuldgefühle lassen sich darauf aufbauend als eine Überzeugung beschreiben, Unrecht oder allgemeiner etwas moralisch zu Verurteilendes getan zu haben, was oft zu einem inneren Konflikt führt. Dabei sind Schuldgefühle allerdings nicht allein auf Handlungen zu beschränken. Auch von uns selbst als moralisch verwerflich bewertete Gedanken können die Ursache von Schuldgefühlen sein, etwa wenn sich ein Vater vorstellt, wie es wäre, mit seiner Tochter zu schlafen. Und durch eben diese Schuldgefühle werden Menschen manipulierbar: „Wenn du nicht aufisst, bist du kein nettes Mädchen!“ Da die Tochter die Mutter verständlicherweise nicht enttäuschen möchte, ein „nettes Mädchen“ sein will und „nicht aufessen“ als schlechte Tat ansieht, werden wohl später Schuldgefühle beim Stehenlassen des Essens bei dieser Person ausgelöst – und das eventuell sogar noch Jahre später, wenn das „nette Mädchen“ längst ausgezogen ist. Schuldgefühle können aber auch uns selbst als „Ausrede“ dienen: „Ich bin ohnehin ein schlechter Mensch, weil ich immerzu alle Leute aus meinem Umfeld verletze. Mir gelingt nichts, deswegen brauche ich auch erst gar nicht in die Schule zu gehen, es läuft ohnehin alles schief.“
Während „angemessene“ Schuldgefühle gesamtgesellschaftlich nützlich sind und der Polizei nicht selten Arbeit ersparen, da sich der Täter selbst um eine Bereinigung der Situation bemüht und Wiedergutmachung anstrebt (vergleiche auch „Täter-Opfer-Ausgleich“: Täter erkennt seine Schuld und tut im Optimalfall sein Bestes zur „Entschuldigung“), sind „krankhafte“ Schuldgefühle eine schwere Last für die betroffene Person: Wenn nicht mehr zwischen „wirklicher“ Schuld und überflüssigen Schuldgefühlen unterschieden werden kann, wird die eigentliche Funktion der Schuldgefühle (Lernen aus Fehlern für die Zukunft und Wiedergutmachung) zum Dilemma.

Folgen von Schuldgefühlen
Kaum etwas wird den Kindern so früh und so intensiv nahegebracht wie das Denken in den Kategorien Schuld/Unschuld. Nach Feststellung der Schuld durch das Umfeld wird die betroffene Person in der Regel ein „schlechtes Gewissen“ bekommen. Schuld verändert uns also, weil wir durch unangenehme Reaktionen unseres Umfelds in der Regel nochmals zum „überdenken“ des Geschehenen angeregt werden, künftig versuchen, solche Taten zu vermeiden und unser Bestes geben, um den Schaden wiedergutzumachen. Allerdings ist nicht zwangsläufig ein positiver Ausgang die Folge: Erziehungsbedingt kann das Schuldbewusstsein auch wie beim kleinen Max aus der Einleitung so konditioniert worden sein, dass uns irgendwann selbst dann Schuldgefühle plagen, wenn wir eigentlich gar nichts Verwerfliches zu verantworten haben. Die negativen Folgen können dann etwa Aggressivität, Angst, Verlust der Selbstsicherheit und daraus resultierend sogar Krankheiten sein. Oft ist die direkte Folge ein mehr oder weniger stark ausgeprägter Selbsthass, der im schlimmsten Fall in Selbstbestrafung in Form von selbstverletzendem Verhalten gipfelt. Rational betrachtet wäre allerdings eine Fokussierung der inneren Energie auf eine „Wiedergutmachung“ im Hier und Jetzt wesentlich angemessener, die Realisierung dessen scheint aber mittlerweile ganze Seminargruppen und Therapiemaßnahmen mit dem Thema „Wie gehe ich mit meiner Schuld um?“ auf den Plan gerufen zu haben. Denn ein inneres Schuldgefühl lähmt uns, wir fühlen uns bedrückt und nicht „frei“. So lautet ein Zitat „Glück – das ist vor allem das stille, frohe, sichere Bewusstsein der Schuldlosigkeit. (Urheber unbekannt)“

Leben mit Schuld
„Die beiden höchsten Gebirge, die wir in unserem Leben des Öfteren mühsam zu überwinden haben, sind das Schuldbekennen und das Verzeihen.“ Niemand „hat“ gerne Schuld, da jeder die Folgen und Auswirkungen schon mal am eigenen Leib zu spüren bekommen hat. Gesellschaftliche Ausgrenzung und oben beschriebene Schuldgefühle sind sicher für keinen Menschen als angenehm zu bezeichnen. So gibt es hauptsächlich 2 Wege (und die Kombinationsmöglichkeit beider), um die Situation für mich persönlich (und nur darum geht es hier) annehmlicher zu gestalten. Ich benenne diese beiden willkürlich als den „vorbildlichen“ und den „problematischen“ Weg.

Vorbildlicher Weg
Der anerkannte Weg, meinen eigenen Schuldgefühlen Einhalt zu gebieten, ist die „Ent-schuld-igung“. Wortwörtlich mache ich mich also von der Schuld frei und bitte denjenigen, den ich geschadet habe, mir zu vergeben. Dadurch gestehe ich ein, dass mein eigenes Handeln bewusst oder unbewusst zu einer „moralischen Verfehlung“ geführt hat und bereue dieses.
Weiterhin kann von meiner Seite aus eine Wiedergutmachung erfolgen, d.h., das ich zusätzlich noch die Folgen meiner moralischen Verfehlung korrigiere und damit Verantwortung übernehme. Wird die Entschuldigung angenommen und mein Gewissen erachtet die von mir erbrachten Leistungen als ausreichend, um mein Vergehen auch vor mir selbst zu entschuldigen, so ist der Prozess auch innerlich abgeschlossen. Der Mensch ist auf Vergebung angewiesen, da die Sicht des Geschädigten auf den durch mich verschuldeten Vorfall eine beträchtliche Rolle für meine eigene Wertschätzung und die Schwere der begangenen Schuld spielt. In vielen Kulturen ist aber auch das „Talion“-Prinzip der Vergeltung nach dem Prinzip „Gleiches mit Gleichem“ (vergleiche auch Kant: „Wiedervergeltungsrecht“) bis heute noch anerkannt, um die Schuld eines anderen aktiv zu „rächen“. Vergleichbar ist dies etwa mit der Wiederherstellung der Ehre eines Soldaten in früheren Zeiten durch das Spießrutenlaufen.

Problematischer Weg
Andererseits existiert auch der gesellschaftlich nicht anerkannte Weg der Bereinigung des Gewissens von Schuld. Wenn der Verstoß meiner Handlung gegen meinen eigenen „Wertekanon“ so schwerwiegend war, dass ich mir diese Tat selbst unmöglich verzeihen kann, ist oft selbst nach Durchlaufen des gewöhnlichen Wegs von Entschuldigung, Reue und Wiedergutmachung mitsamt Annahme der Entschuldigung des Betroffenen die Situation für mich noch nicht geklärt. So kann auch Verdrängung ein Weg sein, der von einem inneren Abwehrmechanismus gewählt wird, um mich nicht in Schuldgefühlen ersticken lassen zu müssen. Aber auch eine „Verschiebung“ der Schuld ist – wie oben angesprochen – ein oft gewählter Weg, um mit Schuld umzugehen. So ist es nicht etwa eine selbst zu verantwortende Handlung, welche in der Waschmittelwerbung für das dreckige T-Shirt herangezogen wird, es sind die „bösen Fleckenzwerge“. Auch Kleinkinder neigen zu solch einer Projektion, wenn sie etwa den Tisch dafür beschuldigen, dass sie an ihn gestoßen sind. Ex existieren noch weitere, menschliche „Abwehrmaßnahmen“ wie etwa Relativierung („so schlimm war das doch sicher gar nicht.“) oder Verleugnung, auf die ich jedoch nicht weiter eingehen werde. Selbstverständlich werden auch beide oben genannten Wege oft miteinander kombiniert, also Entschuldigung, Zeigen von Reue und Wiedergutmachung plus Verdrängung und Schuldverschiebung. Da das „vorbildlich Getane“ oft nicht das eigene Gewissen und die Forderung nach Wiederherstellung des Gleichgewichts erfüllt, greift leider häufig auch der tiefenpsychologisch problematisch Weg der Verdrängung oder der aktiven Konfrontation anderer mittels „Schuldverschiebung“. Von Bedeutung ist wie erwähnt oft nicht allein die tatsächliche Annahme der Entschuldigung durch die geschädigte Person selbst, sondern in der Regel auch maßgeblich meine eigene Wertschätzung und moralische Interpretation des Geschehenen.

Sigmund Freuds Betrachtungen der Schuld
Schuldgefühle machen nach Freud Angst und „den Kern des neurotischen Leidens“ aus (Anm.: Neurose ist ein immer wieder auftretendes Zwangsverhalten und stellt einen Konflikt zwischen Über-Ich (Gewissen) und Es (Triebe) dar). Durch die einhergehende Minderung des Selbstbewusstseins/Selbstwertgefühls werde der Mensch „realitätsuntüchtig“. Die Folge sei eine „emotionale Verpanzerung“ und „Blockierung“. Diese Schuldgefühle entstünden bereits in der „vor-ödipalen“ Kindheit aus einem Konflikt zwischen Trieben und Angst vor Strafe bei Auslebung dieser als „böse“ erachteten Triebe. In der ödipalen Phase (5./6. Lebensjahr) selbst werde dann die Autorität der Eltern (Über-Ich) verinnerlicht und erzeuge Schuldgefühle, es „nicht recht machen zu können“. Ungelöste Triebkonflikte spielen also bei Freuds Schuld-Theorie die Hauptrolle. Mögliche Lösungswege wären ein „richtiger Umgang mit Schuldgefühlen durch Erkennen und Annehmen der eigenen Begrenztheit“. Die Forderungen und Ansprüche des Über-Ich müssten reduziert werden. Schuldgefühle, die sich die betroffene Person selbst nicht erklären kann, beruhen nach Freud auf „Strafandrohungen“ und der sozialen Angst vor „Liebesverlust“. Dass ein Kind nicht mehr von seinen Eltern geliebt wird, sei eine der Grundängste des Menschen und bedeute starken seelischen Schmerz. Strafandrohungen und körperliche Gewalt führten also besonders in der ödipalen Phase zu Konflikten, die auch im späteren Dasein als Erwachsener Mensch immer noch in der Psyche präsent seien. Freud setzt Schuldgefühle und Angst in vielen Bereichen gleich. Schuldgefühle seien weiterhin keine Angst vor den Triebansprüchen des „Es“, sondern eher eine unbestimmte Angst vor den Moralansprüchen des „Über-Ich“, weswegen sie Freud auch als „Gewissensangst“ betitelt. Die Philosophie von Freud beinhaltet ebenso eine Religionskritik, bei der er eine Verkörperung von Gott als überautoritäre Vaterfigur in den Mittelpunkt stellt, auf die wir Menschen alle wünschenswerten Eigenschaften projizieren. Darauf aufbauend besagt Freud in seiner Kritik weiterhin, dass Religion benutzt werde, um uns mit unseren Schuldgefühlen zu lenken. Dies gipfelt schnell wieder in der Kirchenkritik, welche diese „Lenkung“ letztendlich vorgenommen hat, allerdings biete Religion die Grundlage dafür. Auch jedwede Bindung an Gebote stellt im Grunde genommen bereits eine Lenkung dar, welche eventuell auf „natürlichem Wege“ keine Richtlinie für den Mensch dargestellt hätte. Um ein praktisches Beispiel im letztendlich ausgearteten Verlauf in Form von Kirchenkritik zu nennen, sei einmal die Sonnenfinsternis herangezogen. Die damals weit fortgeschrittene Technik der Priester erlaubte es der Kirche im Gegensatz zum normalen Volk, Wissen zu erlangen, welches zum besagten „Lenken durch Schuld“ verwendet werden konnte. So kann eine bald eintretende Sonnenfinsternis als „Zeichen Gottes“ umgedeutet werden, wenn keine Kirchensteuern in entsprechender Höhe von den Bürgern bezahlt worden sind. Aufbauend auf dieser Schuldzuweisung folgt dann just die Bestrafung durch Gott in Form besagter Sonnenfinsternis, womit das Volk leichter zu lenken und zu unterdrücken ist.

Die Religion und die Schuld Anschließend an Freuds Religionskritik und der Schuld als „Druckmittel“ im Prozess der Steuerung des Menschen möchte ich weiter auf die Rolle der Religion eingehen, da sie ein kulturell prägendes Element ist, welches viele unserer Wertvorstellungen vermittelt. Im christlichen Glauben ist nicht erst der letztendliche Verstoß gegen ein Gebot oder die geltende Moral als schuldhaftes Tun zu werten, bereits in einer schlechten Gesinnung liegt die Schuld verankert. Vom Mensch selbst kann diese Schuld nicht allein beseitigt werden. Nur der Glaube an die Gnade Gottes ermöglicht es jeder Person individuell, sich von ihrer persönlichen Erbschuld zu befreien. Dies führt dazu, dass Menschen ihre Schuld zugeben sollen und um Vergebung (sowohl bei Gott, als auch bei der geschädigten Person) bitten. Da Gott uns unendlich viel Schuld vergibt, sollen auch wir dies tun, was sich im „Vater unser“ mit der Zeile „und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ widerspiegelt. Der Begriff „Sünde“ bezeichnet den von Menschen verursachten Grund für unsere Trennung von Gott, welche von ihm nicht gewollt ist. Durch die Geschehnisse im Garten Eden gehört das Schuldigsein als Erbsünde „zur Seinsverfassung des Menschen“. Allein durch unsere Existenz sind wir demnach schuldig, was wieder einen Rückblick auf die Anfangsfrage „Werden wir schuldig geboren?“ zulässt. Die sterbliche und verletzliche Natur des Menschen wird durch die Erbsünde also immer weiter gegeben.

Der Garten Eden
Dann sprach Gott, der Herr: Seht, der Mensch ist geworden wie wir; er erkennt Gut und Böse. Dass er jetzt nicht die Hand ausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt, davon isst und ewig lebt! Gott, der Herr, schickte ihn aus dem Garten von Eden weg, damit er den Ackerboden bestellte, von dem er genommen war. (Gen. 3, 22-23) Das biblisch-christliche Verständnis von Schuld und der Ursünde ist vornehmlich in Genesis durch das Geschehen im Garten Eden beschrieben. Entgegen des Verbots Gottes, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, sagten Adam und Eva lieber „nein“ zum Liebesangebot Gottes und werden so durch diese Tat aus dem Garten Eden verbannt. Die Ursünde bedeutet den Entzug des Privilegs der Lebensgemeinschaft mit Gott und brachte den Tod, das Leiden und den Hang zum Bösen in die Welt. Durch die natürliche Fortpflanzung wird die Ursünde weitervererbt und ist als eine persönliche Schuld eines jeden Menschen zu verstehen, weswegen sie auch als „Erbsünde“ bezeichnet wird. Allerdings wurde logischerweise diese persönliche Schuld in Form der Erbsünde nicht persönlich von jedem Einzelnen begangen.

Wichtig zu verstehen ist hierbei, dass wir allein durch unser „Menschsein“ ein sündhaftes Dasein führen. Allerdings hat sich Gott unserer erbarmt und nahm für uns Leiden durch seine „Menschwerdung“ in Form von Jesus Christus auf sich, was uns die Möglichkeit zur Rückkehr in die Liebe Gottes ermöglicht, sollten wir sein „Angebot“ annehmen. Da unsere Schuld vor Gott zu schwer wiegt, als das wir sie persönlich wiedergutmachen könnten, sollen wir Jesus um Vergebung bitten. Und eben diese Ideale sollen auch wir weitertragen: Nächstenliebe, Schuldbekenntnis und gegenseitige Vergebung. Besonders bemerkenswert ist es allerdings, dass Adam und Eva kein Problem mit ihrer Nacktheit haben. Da sie noch nicht vom Baum der Erkenntnis aßen, befinden sie sich in einem Zustand von Kleinkindern, die „gut“ und „böse“ nicht unterscheiden können. So vertraut Eva der Schlange blind und isst ohne zu wissen, dass sie etwas Schlechtes tut, vom Baum der Erkenntnis. Wenn kleine Kinder Mamas Lieblingsporzellankanne zerstören, ist ihnen schließlich auch keine Vorhaltung zu machen, solang wie sie sich nicht vollständig im Klaren darüber sind, dass die eben begangene Tat schlecht war. So nimmt das Schicksal seinen Lauf und die menschlichen Grundzüge werden offenbar: Adam schiebt die Schuld auf Eva ab, welche sich als Opfer der Schlange sieht. Durch die menschliche Anmaßung, gottgleich sein zu wollen haben wir die Trennung von Gott also selbst verschuldet. Es liegt demnach in unserer Verantwortung, gute Taten zu tun und uns in Nächstenliebe zu üben, so wie Gott es von uns wünscht. Die Problematik des menschlichen Daseins ist allerdings, dass diese Verantwortung so schwerwiegend ist und wir uns demnach permanent durch unterlassene Hilfeleistung „schuldig“ machen. Diese Parabel beschreibt also direkt die Schuld als Verantwortung, was auch Gegenstand des nächsten Kapitels sein wird. Die Schuld als Verantwortung Da Schuld in erster Linie als „etwas bewirkt haben“ zu verstehen ist, impliziert dies die Konfrontation mit anderen Personen oder Gegebenheiten. Wir werden täglich vor tausende von Aufgaben und Entscheidungen gestellt, in denen wir nach unserem Verständnis ständig gefordert sind, dass jeweils „Beste“ zu tun, womit wir automatisch Verantwortung übernehmen müssen – für alle Taten, die wir tun oder nicht tun. So machen wir uns weniger „schuldig“ durch Verstöße gegen Gesetze / Gebote und bestimmte Grenzüberschreitungen, als durch Passivität bezogen auf die Umstände, das Leid und die Not unserer Mitmenschen. Eben diese Aussage der „Grundschuld“ des Menschen in der Erzählung des Garten Edens macht uns durch unsere pure Existenz auf Erden verantwortlich, da wir nie alles Leid auf der Erde beseitigen könnten. Um sie selbst zu zitieren: „Warum machst du jetzt hier dein Abitur am BG Gelnhausen, wenn in der dritten Welt Kinder sterben?“ Natürlich bin ich mitverantwortlich dafür, da ich diesen Menschen nicht helfe – was Schuld auf mich lädt.

Verantwortung bedeutet, die Folgen für Handlungen zu tragen, wobei natürlich auch „Wegsehen“ und „Nichtstun“ zum Feld der Handlungen zählt. Es ist prinzipiell nicht notwendig, eine alte Schuld permanent mit sich zu tragen, da dies lähmen und unsere Handlungen aus Furcht bremsen kann. Deswegen ist eine Definition des Begriffs „Schuld“ als „Verantwortung“ der menschlichen Entwicklung wesentlich zuträglicher. Dass, wofür ich verantwortlich bin, ist auch durch mich wieder zu ändern. Alter Ballast kann bei solch einer Betrachtung schnell abgeworfen werden, der starre Zustand von Schuld wird so eher als dynamisch betrachtet: Ich sollte meine Energie lieber auf eine Korrektur des aktuellen Zustands verwenden und gute Taten vollbringen, um meiner Verantwortung gerecht zu werden als in Trauer zu versinken und meine eigene Schuld zu bedauern. Das systemische Modell Wie am Beispiel der Geschichte von Abigail gut deutlich wird, ist es nicht möglich, eine aufschlussreiche und gültige „Schuldreihenfolge“ zu erstellen. Da die Beziehungen der Personen untereinander in ihrer Eingebundenheit in Systeme oft so verwoben und kompliziert sind, wird heute in manchen Bereichen der Erziehung und Sozialarbeit die Frage nach Schuld weitgehend abgelehnt (etwa bei Drogenabhängigkeit), da solch eine Schuldfeststellung im Rahmen der eigentlich gewünschten Unterstützung ohnehin schon leidender Personen (etwa Drogenjunkies) durchaus kontraproduktiv wäre und zu keiner Lösung führen würde. Die systemische Betrachtungsweise geht davon aus, dass wir als Subjekte durch unsere Erziehung und unsere sozialen Kontakte innerhalb eines Systems aufwachsen. Wie in einem Mobile wird statt einer bestimmten Person konkrete Schuldzuweisungen zu machen analysiert, wo im System der Fehler liegt. „Warum und wie handeln die beteiligten Personen und was sind die Ursachen für die letztendliche Tat?“ lautet hierbei die Leitfrage. Dabei ist die „Einzelschuld“ unbedeutend, denn mit direktem Bezug der Schuld auf die beteiligten Personen und dem Zuweisen der Schuld an Subjekte würde ein Kreisschluss drohen, da Subjekte logischerweise auch subjektive Ansichten der Schuld haben: „A sagt, B ist schuld. B, sagt C ist schuld. C sagt, A ist schuld.“ Diese entindividualisierende und entmoralisierende Betrachtungsweise bewertet also nicht die Einzelmoral, sondern das Gesamtschema aller vorhandenen Moralvorstellungen unter der Berücksichtigung der Ursache, Intention und Wirkung einer Aktion auf die jeweils anderen, beteiligten Subjekte des Modells.
Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass alle Personen im System eine Verantwortung eingestehen und bereit sind, über den eigenen Standpunkt nachzudenken. Nach einer Betrachtung, in welchem System sich der „Schuldige“ befindet und warum er so reagiert hat, wird oft klar, wo der Fehler im System liegt. Und der ist häufig nicht nur beim Täter selbst begründet, da niemand grundlos agiert. Zur Vermeidung von weiteren Vorkommnissen der gleichen Art kann eine solche Betrachtungsweise sehr hilfreich sein, da nicht über die Wirkung, sondern über die Ursache diskutiert wird. Dabei ist egal, wer „angefangen“ hat, die Beziehungen der Betroffenen untereinander sind von viel größerer Bedeutung. Im Optimalfall wird eine Lösung für alle Subjekte gefunden, die auf konventionelle Art und Weise durch diskutieren gegeneinander (wozu Menschen leider neigen, wenn sie sich selbst verteidigen wollen) nie gelöst worden wäre.

Schlussbetrachtung

Wie eingangs erwähnt, fasziniert mich das Thema „Schuld“ vor allem durch die Dynamik in ihr sowie die Ächtung durch die Gesellschaft und die Auswirkungen von Schuld auf die jeweilige Einzelperson. Angeregt durch das Modell der „systemischen Betrachtung“ arbeitete ich mich schon vor Verkündung der Hausarbeit näher in dieses Thema ein und versuchte mich auch im täglichen Umgang mit einer Betrachtung der Schuld als „Verantwortung“ sowie einer modellhaften Ansicht der Gegebenheiten in meiner Familie, falls es zu Problemen jedweder Art kam. Dies verschiebt die egozentrische Sichtweise und animiert zum Lösen der Probleme auf „höherer Ebene“, was bei richtiger Anwendung und vor allem auch bei „Mitspielen“ aller Beteiligten durchaus erfolgversprechend sein kann. Zitate wie „Der Neonazi von heute ist zehnmal so schuldig wie der von früher“ regten mich zum Nachdenken an und besonders die besagte Dynamik im Schuldverständnis bezogen etwa auf die interkulturelle Sichtweise des Ehebruchs und die Möglichkeiten der Gesellschaft zur Ächtung eines „Schuldfalls“ bewegten mich zu meiner Wahl dieses Themas. Der Umfang, der sich hinter einem einzigen Wort wie Schuld verbergen kann, überraschte mich allerdings etwas: Auch wenn kaum Philosophen eine wirklich differenzierte Abhandlung des Themas „Schuld“ betrieben haben, lässt sich im Internet eine Fülle an Informationen in Foren und von Privatleuten auf Blogs finden, die ihre eigenen Erlebnisse mit der Schuld dokumentiert haben. Dabei wird leider auch die Dynamik der Schuld als solche von staatlicher Seite aus missbraucht, um nach polizeilichen Sicherheitsinteressen neue Handlungsspielräume mit „dynamisch kreierten“ Strafbestimmungen zu erschaffen. Da nach geltendem Recht polizeiliche Eingriffe nur im Zusammenhang mit der „Abwehr konkreter Gefahren“ im Rahmen von Strafverfolgung zulässig sind, werden neue Tatbestände geschaffen, um besagten Handlungsspielraum auszuweiten. Ein Beispiel ist das Betäubungsmittelgesetz: Jeder Kontakt mit Drogen, egal ob als Zulieferer, Verkäufer oder Hersteller wird mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft – auch wenn die Ansicht des Volkes zu diesem Thema eine sehr viel liberalere ist. Bestimmte Interessen des Staates können durch die Freiheit, die der Spielraum der Schuld lässt, von allen Seiten gleichermaßen ausgenutzt werden – auch wenn das Recht eigentlich die Ansicht des Volkes widerspiegeln sollte. Ein Verhalten nach dem kategorischen Imperativ ist oft besonders im Bezug auf Schuld nicht möglich: Ein General im Krieg hat demnach häufig nur die Wahl zwischen „schlecht“ und „schlecht“, ist also zur Schuld verdammt. Die Soldaten in den Krieg führen und andere Individuen liquidieren oder einen Tod des gesamten Regiments in Kauf nehmen? Auch Ödipus, der ständig nach Wahrheit strebt und bereit ist, die Verantwortung für seine Taten auf sich zu nehmen, handelt ungewollt und unbewusst falsch. Bei Franz Kafka werden die Menschen ohne es zu wissen „schuldlos schuldig“ (vergleiche etwa „Der Prozess“). Auch die Anfangsbedingung des freien Willens hat durchaus interessante Konsequenzen: Betrachten wir alle Taten eines Menschen unter der Entschuldigung mit dem Hinweis auf Umwelteinflüsse, Erziehung und genetische Abstammung, nehmen wir ihm gleichermaßen auch seine Selbst-Verantwortung und damit seine Persönlichkeit und Würde. Da dies aber nicht mein Thema war, beschränkte ich mich auf die Unterpunkte der Schuld, die ich für „ausführenswert“ erachtete.

Schuld und Moral in der Gesellschaft | David Müller BG13A | 17.01.2008 | Ethik | Hr. Fischer