Statt eines eigenen Vorwortes sollen hier die mahnenden Worte Martin Niemöllers stehen, die die Aktualität der Geschichte betonen – nach dem Motto: Wenn wir aus der Geschichte nichts lernen, dann sind wir dazu verdammt, sie zu wiederholen.

SCHWEIGEN

Ich habe geschwiegen, als sie die Kommunisten holten -denn ich war kein Kommunist.
Ich habe geschwiegen, als sie die Sozialisten holten denn ich war kein Sozialist.
Ich habe geschwiegen, als sie die Juden holten -denn ich war kein Jude.
Ich habe geschwiegen, als sie die Christen holten -denn ich war kein Christ.
Als sie mich holten, war niemand mehr da, der dagegen hätte protestieren können.

…und die Aktualisierung:

SCHWEIGEN

Ich habe geschwiegen. als die „Aus1änder raus!“  Rufe immer lauter wurden, denn ich war kein Ausländer
Ich habe geschwiegen. als sie
auf die .Scheiß Juden.“ geschimpft. haben denn ich war kein Jude.
habe geschwiegen. als sie
wieder Jagd auf Linke und Andersdenkende gemacht haben –
denn ich kann mich anpassen.
Ich habe auch geschwiegen, als sie
die Häuser und Synagogen in Mölln, Lübeck und anderswo angezündet haben, denn ich wollte meine Ruhe.
Als sie auf mich aufmerksam wurden, war niemand mehr da.
der hätte schreien können.

 

Zum tragischen Verhalten der katholischen Bischöfe

Falsche Gehorsams- und Kriegsethik

Gehorsam, Einordnung, Unterordnung – das war für katholische Menschen früher ebenso selbstverständlich wie der Glaube an Gott und Jesus Christus und wie die Bindung an die von ihm gegründete Kirche und die von ihm verordneten Autoritäten. Es gab nichts Größeres, als ein treuer Untertan im Dienst Gottes und seiner Repräsentanten zu sein. Katholiken gehörten nicht zu denen, die aufrührerisch und rebellisch die heilige Ordnung in Frage stellten. Sie wollten nicht den unbotmäßigen Stammeltern Adam und Eva gleichen, durch die alles Unheil in die Welt gekommen war.
Und so waren denn auch in unserem Jahrhundert Millionen katholische Männer ihren Oberen gehorsam: Sie sind marschiert, haben gekämpft und ganze Länder verwüstet, haben getötet und sind selbst gestorben. Weil der Kaiser  „von Gottes Gnaden“ es vor 75 Jahren befahl, haben sie einen Krieg geführt, den Bischof Faulhaber im Jahre 1915 das „Schulbeispiel eines gerechten Krieges“ nannte. Der Bischof hat sich – wie unzählige andere – geirrt. Während Papst Benedikt XV diesen Krieg als “Gemetzel”, als ”Wahnsinn” und als ein ins Unermessliche wachsendes “Morden” bezeichnete, wurde den deutschen Katholiken noch Ende 1917 von ihren Bischöfen die Pflicht zu Treue und Gehorsam gegenüber dem Kaiser eingeschärft und unter Berufung auf den Apostel Paulus für den Fall des Ungehorsams das göttliche Gericht angedroht.

Vor 50 Jahren befahl der „Führer“ den Krieg und wieder wurde gehorcht. Wie schon im Ersten Weltkrieg wurde auch 1939 seitens der Kirchenoberen nicht der geringste Zweifel daran gelassen, dass Katholiken der Staatsführung gegenüber zum Gehorsam verpflichtet seien. In den Hirtenbriefen zahlreicher Diözesanbischöfe fanden sich Aufrufe folgender Art: „Erfüllt Eure Pflicht gegen Führer, Volk und Vaterland!“ „Gott sei mit allen, die die schwere Kriegsarbeit auf sich nehmen und verleihe ihnen Mut und Kraft, für das teure Vaterland siegreich zu kämpfen oder mutig zu sterben“ oder auch: „Nachfolge Christi ist es, das eigene Leben einzusetzen zur Rettung unseres Volkes“. Diese und andere kirchenamtlichen Verlautbarungen können schwerlich anders denn als Anerkennung der Rechtmäßigkeit des Hitler-Krieges verstanden werden. Anderes anzunehmen und zu behaupten hieße, den Bischöfen zu unterstellen, sie hätten die Gläubigen wissentlich zur Teilnahme an einem verbrecherischen Krieg aufgefordert.

Erzbischof Gröber suggerierte mit der Behauptung vom „uns aufgezwungenen Krieg“ die Vorstellung vom unschuldigen, friedensliebenden Deutschland und seinen kriegslüsternen Feinden. Bischof von Galen schrieb: „Der Krieg, der 1919 durch einen erzwungene Gewaltfrieden äußerlich beendet wurde, ist aufs neue ausgebrochen und hat unser Volk und Vaterland in seinen Bann gezogen. Wiederum sind unsere Männer und Jungmänner zum großen Teil zu den Waffen gerufen und stehen im blutigen Kampf oder in ernster Entschlossenheit an den Grenzen auf der Wacht, um das Vaterland zu schirmen und unter Einsatz ihres Lebens einen Frieden der Freiheit und Gerechtigkeit für unser Volk zu  erkämpfen …“

Die Mahnung des deutschen Episkopates vom 26. Juni 1941 zu „opferwilligen Arbeiten und Kämpfen im Dienste unseres Volkes“ erhielt ihr besonderes Gewicht durch den Hinweis, dass die Gläubigen „bei der Erfüllung der schweren Pflichten dieser Zeit… dem heiligen Willen Gottes“ folgten. Die Bischöfe der Kölner und Paderborner Kirchenprovinz schärften 1942 den Gläu¬bigen ein – nachdem sie zuvor ausführlich zu den Verletzungen der Menschenrechte und der Rechte der Kirche Stellung genommen und dagegen protestiert hatten: „Mit der ganzen Autorität unseres heiligen Amtes rufen wir auch heute euch wieder zu: Erfüllet in dieser Kriegszeit eure vaterländischen Pflichten aufs Treueste! Lasset euch von niemand übertreffen an Opferwilligkeit und Einsatzbereitschaft! Seid treu unserm Volke! Wo immer der Daseinskampf unseres Volkes euren Einsatz fordert, da steht!“
Die Frage, ob es sich hier um einen „gerechten Krieg“ handle – auch in der damaligen Moraltheologie eine Voraussetzung für die sittliche Erlaubtheit, an einem Krieg aktiv teilzunehmen – ist nicht gestellt worden. Für die Bischöfe, wie für fast alle Gläubigen, war es allem Anschein nach eine Selbstverständlichkeit, dass sie der staatlichen Obrigkeit zu gehorchen hätten, solange nicht etwas gefordert würde, was gegen Gottes Gebot verstieß. Diesen Krieg hielten sie für gerecht, die Teilnahme daran für eine staatsbürgerliche und christliche Pflicht und darum wurde gehorsam Krieg geführt.
Über mehrere Jahre haben sich die Bischöfe in einer schwerwiegenden Angelegenheit geirrt. Durch ihre Gehorsamsforderung sind sie auf eine tragische Weise zu Erfüllungsgehilfen des Staates und seiner Eroberungspolitik geworden. Dieser bitteren Wahrheit müssen wir uns stellen.
Hitler konnte seine Kriege nur darum führen, weil es so viele Menschen gab, die (fast) allen Befehlen Folge leisteten. Auschwitz war möglich, weil die Vernichtungsmaschinerie dank der allzu vielen blindlings Gehorchenden reibungslos funktionierte.
Niemand wird unterstellen, die Amtsträger der Kirche hätten den Krieg gewollt oder Auschwitz auch nur für möglich gehalten. Und dennoch sind sie und andere am Krieg und Auschwitz insofern beteiligt, als sie in einer Kirche, die sich als „eine Art von übernatürlichem Obrigkeitsstaat“ verstand (Josef Ratzinger 1965), einen Gehorsam gelehrt und zu ihm erzogen hatten, der der Fügsamkeit und Unterwürfigkeit näher steht als dem personal verantworteten Gehorsam, der allein die Bezeichnung Gehorsam verdient. Wer Gehorsam einfordert, ohne gleichzeitig zur Unterscheidungs-, Urteils- und Verantwortungsfähigkeit zu verhelfen, der entleert den Gehorsam seines christlichen Sinnes und pervertiert ihn.
Natürlich sind Gesetze zur Regelung des Gemeinschaftslebens unverzichtbar. Natürlich ist der Gehorsam gegenüber der rechtmäßigen Autorität eine sittliche Verpflichtung. Aber Gehorsam ist nicht immer und in jedem Fall ein sittlicher Wert; er ist es nur dann, wenn er in Richtung jener Bestimmung geleistet wird, die dem Menschen von Gott aufgegeben ist. Autorität hat ihren Sinn nicht in sich selbst; sie ist hingeordnet auf das Gemeinwohl und muss gerecht und sachgemäß verwaltet werden. Nach unseren Erfahrungen mit Autoritäten und Gehorsam gilt es vor allem zu begreifen: auch der Gehorsam muss verantwortet werden und diese Verantwortung ist unabtretbar.
In der kirchlichen Gemeinschaft haben sittliche Weisungen des Amtes zweifellos ein hohes Gewicht. Aber Loyalität und Gehorsam gegenüber dem Amt kann es nicht geben ohne das verantwortliche Gewissen der Gläubigen. Wenn recht verstandener Gehorsam die mündige, in voller Eigenverantwortlichkeit stehende Persönlichkeit voraussetzt, dann wird ohne diese Voraussetzung aus dem Gehorsam Folgsamkeit, Gefügigkeit, Infantilismus, schließlich „Kadavergehorsam“.
Unter Hitler waren die Soldaten durch den zu leistenden „heiligen Eid“ gegenüber dem „Führer“ zu „unbedingtem Gehorsam“ verpflichtet und, je nach Einstellung der Seelsorger, wurde bei den Belehrungen über den Eid auch mit der „Rache“ und dem „Fluch“ Gottes gedroht, „falls das Schwurversprechen nicht deutsch, d.h. wahrhaftig, treu und ehrlich ist“. Aber auch ein Eid entbindet nicht von der Pflicht zum Nachdenken und von der Verantwortung, auch ein Eid setzt das Gewissen nicht außer Kraft, gleichgültig, ob er einem „Führer“ oder einer anderen Instanz gegenüber geleistet wird. Wo ein Eid das Vertrauen ersetzen soll oder eine reine Disziplinarmaßnahme darstellt, wo man die Treue gegenüber der Autorität durch Eide absichern will, statt durch die in freier Entscheidung übernommene Verantwortung zur Mitarbeit, da wird der Verdacht genährt, der Dienst der Untergebenen werde vor allem als reibungsloses Funktionieren im Organisationsgefüge verstanden. Fragen stellen gilt dann bereits als Störung des Betriebs, Kritik als Aufkündigung der Loyalität. Auf jeden Fall wird der Eindruck erweckt, das Interesse an der Institution und ihrer Absicherung sei stärker ausgeprägt als die Sorge um die Förderung der personalen Kräfte und Fähigkeiten der Menschen, im Bereich der Kirche: des personalen Glaubensvollzugs der Gläubigen in verantworteter Freiheit.

Von Verantwortlichen in Kirche und Staat wird seit längerer Zeit beklagt, dass eine wachsende Zahl von Christen und Bürgern sich vorwiegend konsumorientiert und passiv verhielten. Und in der Tat scheinen Überdruss und Verdrossenheit, Ohnmachtsgefühle und Müdigkeit, sich in weiten Bereichen von Kirche und Gesellschaft auszubreiten. Resigniertes Schweigen nimmt ebenso zu wie das „Auswandern“: der Rückzug ins Private, die Distanzierung von Kirchen, Staat und Parteien. Reglementierungen und Kontrollmaßnahmen verschiedener Art, Bürokratisierung, Zentralisierung und die Weisen der Machtausübung verstärken diese Tendenzen, wenn sie nicht gar die (Mit-)Ursachen für die genannten Phänomene sind. Spontaneität und Kreativität, Fantasie und Eigeninitiative werden zwar beschworen und gefordert, doch gleichzeitig auch misstrauisch beobachtet, erschwert oder gar unterbunden, oft gerade von jenen, die das Subsidiaritätsprinzip vertreten und theoretisch die Stärkung der personalen Kräfte fordern.
Vielleicht hat man Angst vor einer Gefährdung der Ordnung durch „Subjektivismus“ oder vor einer Schwächung, wenn nicht gar Aushöhlung der Autorität. Aber ist die Gefahr eines unbotmäßigen Ungehorsams wirklich größer als die einer allzeit bereiten Fügsamkeit und die des Missbrauchs der Autorität? Sind Amtsinhaber weniger den Gefahren des Irrtums und der Sünde ausgesetzt als normale Christen? Gefährdet und gefährlich sind nicht die fragenden und kritischen Christen, gefährdet und gefährlich sind vielmehr die kritiklos angepassten, die “braven” und allzu gehorsamen, die manipulierbaren und den Autoritäten hörigen Zeitgenossen.

In Zukunft sollte niemand von der Pflicht zum Gehorsam sprechen, ohne auch vom gegebenenfalls notwendigen Ungehorsam zu reden. Unbedingter Gehorsam gebührt nur Gott. Die konkreten Erfahrungen mit unseren Autoritäten in Kirche und Staat verbieten uns, deren Verlautbarungen bei allem schuldigen Respekt gewissermaßen selbstverständlich als Ausfluss und Vermittlung göttlichen Willens anzusehen. Das Leben in den Gemeinschaften wird dadurch nicht leichter, weder für die Inhaber von Ämtern, noch für die Untergebenen. Doch um der Würde der menschlichen Person willen muss stets neu gefragt werden, ob die geforderten Akte des Gehorsams der Subjektwerdung der Menschen und dem Erwachsenwerden im Glauben dienen oder der Einordnung in die – oft überbewertete – Institution und ihre Ordnung.
Die Fähigkeit, eigenverantwortlich sittliche Entscheidungen zu treffen, stellt sich nicht von selbst ein, sie muss gelernt und eingeübt werden. Wer den Menschen die Möglichkeit solchen Einübens nimmt oder sie erschwert, sei es durch Behinderung der Urteilsbildung, sei es durch Einschüchterungsversuche oder Disziplinierungsmaßnahmen, sei es durch Unterbindung der Entwicklung zur Unterscheidungs- und Kritikfähigkeit oder auch durch Favorisierung “kindlicher Anhänglichkeit” oder Abhängigkeit, der macht sich schuldig, weil die institutionellen Ordnungen für wichtiger genommen werden als die Menschen, um derentwillen alle Institutionen bestehen.

Glaubenskraft – Quelle der Wehrkraft

Im Jahre 1935 hatte Georg Werthmann, seit 1936 Feldgeneralvikar der Deutschen Wehr¬macht, ein Buch veröffentlicht „Wir wollen dienen!“ mit dem Leitspruch:
„Glaubenskraft als Quelle der Wehrkraft!“ und der Widmung:
„Der wehrfähigen Mannschaft des deutschen Volkes als Ruf und Vermächtnis der Gefallenen.“
Im Kapitel über den Gehorsam als „Angelpunkt“ des Soldatentums ist zu lesen:
„Ob ein Mensch gehorchen kann oder nicht, ist entscheidend für seine Brauchbarkeit im Leben. Ob eine Truppe gehorchen kann oder nicht, ist entscheidend für ihre Brauchbarkeit im Frieden wie im Kriege. So ist Gehorsam die erste Soldatentugend, innerste Voraussetzung für wahres Soldatentum: Ihn befiehlt das eherne Soldatengesetz, ihn schützt die Autorität des vierten Gebotes. Wie schon die Heilige Schrift mit den Pietätlosen hart ins Gericht geht, so steht auch soldatische Art in schroffstem Gegensatz zu Willkür und Ungebundenheit … Es ist nicht Soldatenart, sich erst in endlosen Debatten darüber auszusprechen, ob dieses oder jenes unternommen werden soll…“

Im Jahre 1962, 27 Jahre später, erhielten die katholischen Angehörigen der Bundeswehr als Weihnachtsausgabe das 126 Seiten starke Büchlein „Die Parole“, herausgegeben vom katholischen Militärbischofsamt. Die Texte stammen von Georg Werthmann, nunmehr Militärgeneralvikar der Bundeswehr. Unter der Überschrift „Gehorchen können“ liest man – siehe oben den Text von 1935. Allerdings: aus dem “Krieg” wurde nun der “Ernstfall”; die “erste Soldatentugend” wurde etwas degradiert zu “eine(r) der vornehmsten Soldatentugenden” und im Plastikzeitalter entfiel das “eherne Soldatengesetz”.

Kriegsdienst unter Adolf Hitler 
Wie die Katholiken von ihrer Kirche zum Mitmachen aufgefordert wurden

Am 26. April 1933 bemerkte Reichskanzler Adolf Hitler in einem Gespräch mit dem Osnabrücker Bischof Berning:
„Es droht eine schwarze Wolke mit Polen. Wir haben Soldaten notwendig, gläubige Soldaten. Gläubige Soldaten sind die wertvollsten. Sie setzen alles ein.“
Sechs Jahre später wurde des “Führers” Prophezeiung grausige Wirklichkeit: Mit dem deutschen Angriff auf Polen begann am 1. September 1939 der Zweite  Weltkrieg, der insgesamt etwa 53 Millionen Menschen das Leben kostete. Welch unvorstellbares Leid dieser Krieg verursachte, wird dabei durch diese nüchterne Zahl eher noch verborgen als enthüllt.
Die Mehrheit der Deutschen zeigte 1939, anders als 25 Jahre zuvor, keine Begeisterung für den Krieg. Auch in den Verlautbarungen der katholischen Bischöfe fehlte der überschwängliche Jubel des Jahres 1914. Von nationalsozialistischer Propaganda hielt sich der Episkopat fern. Während der Geistliche Vertrauensrat der Deutschen Evangelischen Kirche verlauten ließ, der Kampf werde geführt, „damit deutsches Blut zu deutschem Blut heimkehren darf“ und in einem Fürbittengebet den Segen Gottes für den “Führer”, die Wehrmacht und ihren Kampf „für den Lebensraum des deutschen Volkes“ herabflehte, beschränkten sich die katholischen Kirchenführer im wesentlichen auf Ermahnungen zur Pflichterfüllung. Diese jedoch waren umso eindringlicher!
Wenn jüngst der katholische Historiker Walter Ziegler behauptete, von einer irgendwie gearteten Unterstützung des nazistischen Krieges durch den deutschen Episkopat könne keine Rede sein, so hält dieses Urteil einer sachlichen Überprüfung nicht stand. Die wiederholten Aufforderungen an die Gläubigen, als Soldaten gehorsam ihre Pflicht zu erfüllen, waren ohne Zweifel eine Art von Unterstützung, wenn auch nicht jene, die die nationalsozialistischen Machthaber sich erwünschten.
Überlegungen, ob es sich bei Hitlers Feldzug nicht um einen ungerechtfertigten Krieg handeln könnte, wurden von der Mehrheit der Bischöfe allem Anschein nach nicht angestellt. Der Freiburger Oberhirte Gröber hatte schon 1935 erklärt, die Frage, ob ein Krieg gerecht sei, könne allein von der jeweiligen Obrigkeit beantwortet werden. Mit einer solchen Einstellung lieferte man sich der NS-Regierung völlig aus.
Obwohl an der Kirchenfeindschaft der Nationalsozialisten 1939 kein Zweifel mehr bestehen konnte und in der Tat auch nicht mehr bestand, glaubte man im deutschen Episkopat, Hitlers Krieg als vaterländische Aufgabe begreifen zu müssen. „Das Vaterland darf jedes Opfer fordern“ – mit diesem Ausspruch des Dichters Theodor Körner wurden die katholischen Soldaten in ihrem Feldgesangbuch konfrontiert. Er scheint auch die Maxime der Bischöfe gewesen zu sein.
So schrieb Erzbischof Gröber am 17.10.1940 an den Breslauer Kardinal Bertram:
„Man kann von einem Menschen mit Charakter nicht verlangen, dass er zu einer religiösen Entwicklung ja sagt, zu der sein Gewissen nein sagen muss. Gewillt und entschlossen, dem Volk und Vaterland in Krieg und Frieden bis zum äußersten zu dienen, wird uns dieser Dienst namentlich dadurch bis zur Unerträglichkeit erschwert und zur bittersten Sorge, wenn man weiß, dass nach dem Krieg die Erledigung der Kirchen folgen soll. Das bedrückt um so mehr, als der Krieg doch überwiegend mit dem Blut der christlichen Glaubensgenossen geführt wird und unter den siegreichen Heerführern sich eine gute Anzahl von treukatholischen Männern befindet.”
Die Kundgebungen der Bischöfe in der NS-Zeit waren fast ausnahmslos nach einem einheitlichen Schema aufgebaut waren, das die grundsätzliche Zustimmung zum NS-Staat (und zum Krieg) mit einem Insistieren auf der kirchlichen Seelsorge- und Organisationsfreiheit verband. Dass die Kirche in eigener Sache protestierte, ist jedoch so bekannt, dass es an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden muss.
Ebenfalls bekannt ist die Tatsache, dass die Bischöfe nur selten und nur sehr verhalten ihre Stimme erhoben, wenn der NS-Staat kirchenfremde Gruppen und Personen verfolgte; insbesondere die Haltung des Episkopats zur Judenverfolgung war sehr ambivalent.
Theologisch Verschrobenes produzierte auch eine Reihe von Kriegspfarrern. Doch sollte man nicht vergessen, dass in der Militärseelsorge auch bedächtigere Männer tätig waren. Außerdem waren der Indoktrination seitens der Adressaten gewisse Grenzen gesetzt.
So schrieb etwa ein im Heeresdienst stehender Priester: „Allzu abgeneigt und argwöhnisch ist man gegen Briefe und Ergüsse geworden, die immer wieder von Bewährung, Einsatzbereitschaft usw. sprechen”.

Wie unkritisch sich die Kirchenführung nach Kriegsende mit dem Geschehen auseinander setzte, dokumentieren beispielhaft die Äußerungen der Erzbischöfe Frings und Faulhaber. Besonders erschreckend wirkt der Versuch des Münchener Kardinals, die Verbrechen in den Konzentrationslagern gegen die Luftangriffe der Alliierten aufzurechnen. Schließlich kommt mit dem österreichischen Bauern Franz Jägerstätter ein Mann zu Wort, der zu den wenigen Katholiken gehörte, die als Konsequenz aus ihrem Glauben den Kriegsdienst in Hitlers Armee verweigerten. Mit dem erst kürzlich dem Vergessen entronnenen Alfred Andreas Heiß kennt man inzwischen sieben Katholiken, die wegen Kriegsdienstverweigerung hingerichtet wurden. Das Gedenken an diese Märtyrer ist immer noch eine gefährliche Erinnerung – führt uns ihr konsequenter Lebensweg doch deutlich vor Augen, dass die gläubigen Soldaten, mit denen Hitler schon 1933 rechnete, de facto nicht für das Vaterland und erst recht nicht für Christus kämpften und bluteten, sondern für die Aufrechterhaltung und Ausbreitung des NS-Regimes. Zudem macht uns das einsame Zeugnis der Verweigerer darauf aufmerksam, dass ein Katholik, der aufrecht gehen und seinem Gewissen folgen will, dies bisweilen gegen die Anweisungen seiner Bischöfe tun muss. Das Beispiel dieser Glaubenszeugen, die unbeirrt und zuversichtlich in den Tod gingen, kann uns, die wir keinen vergleichbaren persönlichen Risiken ausgesetzt sind, Mut machen, uns in die Nachfolge desjenigen zu begeben, dessen Reich des Friedens und der Gerechtigkeit mit dem “Dritten Reich” eines Adolf Hitlers nichts gemein hat.

 

Kurzinfo: Der Versuch der Gleichschaltung der Kirchen

Hitlers Fehleinschätzung gegenüber den Kirchen
Dem nationalsozialistischen Totalitätsanspruch standen im Besonderen die christlichen Kirchen im Wege. Dies galt nach Meinung Hitlers im Wesentlichen aber nur für die katholische Kirche, deren weltanschauliche und organisatorische Geschlossenheit Hitler imponierte. Aber insgesamt meinte man das Problem vor allem über die Erziehung der heranwachsenden Generation relativ einfach lösen zu können.
Die Wirklichkeit sah dann aber doch anders aus:
Zwar gelang es den Nationalsozialisten, einen Teil der Protestanten als “Glaubensbewegung Deutsche Christen” unter einem Reichsbischof auf ihre Seite zu ziehen, aber deren Versuche, das Christentum der nationalsozialistischen Ideologie anzupassen, stießen auf den erbitterten Widerstand des von Pastor Niemöller geführten “Pfarrernotbundes” und der hinter ihm stehenden “Bekennenden Kirche”. Diesen Widerstand versuchten die Nationalsozialisten mit staatlicher Gewalt zu brechen, nicht ganz ohne Erfolg, so dass 1945 sich eine Reihe von Landeskirchen in desolatem Zustand befanden.

Die größere Distanz bei der katholischen Kirche
Die katholische Kirche hatte bereits vor 1933 gegenüber dem Nationalsozialismus eine eindeutig ablehnende Position bezogen. So war etwa Katholiken der Eintritt in die NSDAP verboten. Ein Kurswechsel ergab sich im Zusammenhang mit den Verhandlungen um die Zustimmung des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz. Teile der Amtskirche sahen ähnlich wie die Deutschen Christen Gemeinsamkeiten, andere Teile blieben skeptisch.
Diese Teile schienen dann durch den Abschluss des großzügigen Konkordats zwischen der Hitler-Regierung und dem Heiligen Stuhl widerlegt (20.7.1933), wo es zu großen Zugeständnissen des Staates kam (vgl. Italien 1929).Aber in der Realität zeigte sich bereits nach wenigen Monaten eine Tendenz zur Unterdrückung. In der Folgezeit gab es ein zähes Ringen zwischen Kirche und Staat um die Positionen in den Gemeinden und in der Schule. Besonders die unteren Ebenen des Katholizismus wurden verfolgt. Besonders die Enzyklika “Mit brennender Sorge” des Jahres 1937 setzte mit ihrer kategorischen Verurteilung des Rassismus kirchenfeindliche Kräfte bei den Nationalsozialisten frei. Die “Ausrottung mit Stumpf und Stiel”, die Hitler prophezeit hatte, blieb der Kirche allerdings noch erspart. Stattdessen bemühte man sich mit allerlei Intrigen, das Ansehen der Kirche und ihrer Vertreter im Volk zu belasten (angebliche Devisenvergehen, besonders aber Sexualdelikte).

Kritische Anmerkung zum “Widerstand” der katholischen Kirche
Bei aller Anerkennung des Leidens und der Abwehrleistungen der katholischen Kirche bleibt ein kritischer Punkt, auf den z.B. der Historiker Aleff hinweist:
“Doch was Enzyklika und viele Hirtenbriefe verurteilten, waren Angriffe auf die Religion und auf Rechte und Vorrechte der Macht Kirche, nie aber der NS als ganzes (wie Liberalismus und Kommunismus). Traditionelle Abwehr gegen Rationalismus, Pluralismus und Modernität machte eine Mehrheit von Klerus und Kirchenvolk anfällig für antidemokratisches Denken und damit, trotz Vorbehalten und Konflikten, für Sympathie mit großen Teilen von NS-Idee und -politik: Volksgemeinschaft, Antisemitismus, Antimarxismus, Machtstaat, Reichstraum, Kriegseinsatz.”
So steht die katholische Kirche insgesamt kaum besser da als der auf andere Art und Weise anfällige Protestantismus.

Die Kirchen in der NS-Diktatur – Zwischen Anpassung, Selbstbehauptung und Widerstand

Die ursprüngliche Fassung des folgenden Textes stammt aus: Karl Dietrich Bracher u.a. (Hrsg.), Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, 2. ergänzte Auflage 1993

1. Vorklärungen
Die Lage der Forschung und das Problem der leichtfertigen Verurteilung
Das Verhältnis der christlichen Kirchen zum Nationalsozialismus gehört zu den intensiv erforschten, doch bis heute kontrovers beurteilten Themen der Zeitgeschichte. Häufig nur ausschnitthaft behandelt, etwa unter dem Aspekt des Widerstands, oder, umgekehrt, unter der vorwurfsvollen Fragestellung nach der Kooperation, ja Kollaboration der Kirchen mit dem NS-Regime, bewegen sich die Urteile auf einer breiten Skala zwischen apologetischen Rechtfertigungsversuchen und moralisierender Verdammung. Gerade ein jüngst erschienenes Pamphlet wie Ernst Klees »Die SA Jesu Christi« zeigt deutlich, wie stark die Bewertung durch unzulässige Verallgemeinerungen oder unhistorische Urteilskriterien bestimmt sein kann. Von solchen einseitigen Historikern hat Thomas Nipperdey gemeint, sie wollten nicht mehr, wie ehedem, »bestimmte Züge der Vergangenheit preisen, um ihre Gegenwart zu rechtfertigen«, vielmehr verdammten sie »die Vergangenheit, indem sie Staatsanwalt und Richter zugleich sind«: eine von Selbstgerechtigkeit bestimmte Sichtweise, die in der Vergangenheit »nichts als Schuld und Versagen« erkenne und über dieser Verabsolutierung die eigene perspektivische Begrenztheit aus den Augen verliere.
Die Bedeutung der konfessionellen Unterschiede
Ist die Frage der Urteilskriterien ein generelles methodologisches, in der kirchlichen Zeitgeschichte freilich besonders brennendes Problem, weil die Standortgebundenheit des Betrachters kaum irgendwo anders so deutlich zum Tragen kommt, so ergeben sich weitere Schwierigkeiten aus der nur begrenzten Vergleichbarkeit der beiden christlichen Kirchen, die gleichwohl hier gemeinsam zu betrachten sind. Protestantismus und Katholizismus hatten mit ganz unterschiedlichen historischen Vorprägungen die nationalsozialistische Herausforderung zu bestehen, und da beide Kirchen durch einen Graben tiefen wechselseitigen Misstrauens voneinander getrennt waren, der erst nach dem Zusammenbruch allmählich in ökumenischem Geist überbrückt werden konnte, blieben gemeinsame Abwehrbemühungen die Ausnahme.
Der Begriff des Kirchenkampfes
Auch die Begriffsgeschichte des Terminus >Kirchenkampf< wirft Licht auf unterschiedliche Gegebenheiten. In seiner heute gebräuchlichen Form stammt er aus dem evangelischen Sprachgebrauch der Jahre 1933/34, wo er ursprünglich nur das »innerkirchliche Ringen um Wesen, Auftrag und Ordnung der Kirche« (Carsten Nicolaisen) bezeichnete, also im Wesentlichen den Abwehrkampf der sich formierenden Bekennenden Kirche gegen den Alleinherrschaftsanspruch der >Deutschen Christen< und ihrer nationalsozialistischen Helfer. Mit zunehmender weltanschaulicher Indoktrinierung erfuhr der Begriff dann eine Bedeutungsumwandlung als »Kampf der Kirche gegen die Ideologie oder die politische Praxis des Nationalsozialismus« (Carsten Nicolaisen).
Katholischerseits hingegen wird mit >Kirchenkampf< ausschließlich der sich aus dem totalitären Verfügungsanspruch des NS-Regimes ergebende Kampf gegen die (katholische) Kirche und die ihr verbundenen Organisationen und Organe bezeichnet. Schon kirchliche Zeitgenossen sprachen von »Kampf« bzw. »Vernichtungskampf«; häufig findet sich auch das Empfinden, in einem neuen »Kulturkampf« zu stehen. In der Historiographie unserer Tage ist der Kirchenkampf eine »Epochenbezeichnung für die Geschichte beider Kirchen im Dritten Reich« (Klaus Scholder); er umfasst also nicht allein deren Bekämpfung durch das Regime, sondern gleichermaßen die kirchliche Reaktion darauf.
Klärung des Begriffs “Kirche”
Endlich bleibt noch zu klären, wer gemeint ist, wenn nach den Kirchen unter dem Nationalsozialismus gefragt wird. Sind es Pfarrer, Theologieprofessoren und Bischöfe, Kirchenbeamte oder Synodale, die schon von Amts wegen die Institution >Kirche< verkörpern? Oder sind nicht gerade auch die einzelnen Christen mit einzubeziehen, die als einfache Kirchenmitglieder in unterschiedlicher Intensität das kirchliche Leben mit gestaltet haben? Der Profanhistoriker wird jedenfalls  unbeschadet des in den Konfessionskirchen jeweils vorherrschenden spezifischen Kirchenbegriffs und des den Kirchen zugemessenen Auftrags, von dessen Erfüllung oder Nichterfüllung das historische Urteil entscheidend bestimmt wird  die Kirchen als gesellschaftliche Großgruppen zu erfassen und dabei zu klären suchen, inwieweit das politischsoziale Handeln von Kirchenmitgliedern durch ihre konfessionelle Sozialisation (mit)bestimmt war.

Die Lage des Christentums im Jahre 1933
Nach der Religionsstatistik von 1933 gehörten die weitaus meisten Deutschen, insgesamt 95,2 Prozent, einer der beiden großen christlichen Kirchen an, nämlich 40,9 Millionen der evangelischen und 21,2 Millionen der katholischen, das entspricht einem prozentualen Anteil von 62,7 bzw. 32,5 Prozent. Somit hätte, wer unter konfessionsspezifischem Aspekt nach dem Verhalten von Protestanten oder Katholiken fragt, nahezu die gesamte Reichsbevölkerung in den Blick zu nehmen. Das ist angesichts einer auch damals schon weit verbreiteten religiösen Gleichgültigkeit wenig sinnvoll. Christen sind ja nicht lediglich Mitglieder ihrer Kirchen, sondern zunächst und vor allem Staatsbürger eines politischen Gemeinwesens, das in der Regel die Geschicke des Einzelnen weit stärker bestimmt. Daher waren auch die Christen im Deutschland der dreißiger Jahre unbeschadet ihrer kirchlichen Bindungen, ihrer unterschiedlichen landsmannschaftlichen Herkunft, sozialen Stellung, Bildung, weltanschaulichen Prägung oder politischen Ausrichtung von den allgemeinen nationalen Empfindungen ihrer Zeit getragen.

Das Ausmaß der damaligen “Entkirchlichung”
Wenn gleichwohl nach dem spezifischen Verhalten von Katholiken und Protestanten gefragt wird, liegt es nahe, vor allem diejenigen zu betrachten, deren Kirchlichkeit sich nicht in statistischer Mitgliedschaft erschöpfte, sondern die mehr oder weniger aktiv am Gemeindeleben teilnahmen und damit kirchlicher Beeinflussung zugänglich waren. Das waren im Durchschnitt der Jahre 1930 bis 1933, errechnet auf der Basis der Osterkommunionstatistik, etwa 62,4 Prozent der Katholiken. Für die evangelische Kirche liegen ähnlich präzise Angaben nicht vor. Hier bietet allenfalls die Statistik der Abendmahlsbeteiligung einen Näherungswert. Mit einem Reichsdurchschnitt von 25,5 Prozent lag sie während der frühen dreißiger Jahre in den insgesamt 28 evangelischen Landeskirchen erheblich niedriger. Auch die zwischen 1920 und 1932 mehr als halbierten Konfirmandenzahlen deuten in diese Richtung, Zahlen, die trotz ihrer nur begrenzten Vergleichbarkeit zeigen, dass der Prozess der >Entkirchlichung< im Protestantismus früher und nachhaltiger eingesetzt hatte als in der katholischen Kirche.

2. Unterschiedliche Vorbelastungen in Kaiserreich und Republik
Die Bedeutung des konfessionellen Gegensatzes in Deutschland
Weit stärker, als es heutigem Bewusstsein geläufig ist, hat der im 19. Jahrhundert wiederbelebte konfessionelle Gegensatz zwischen Protestantismus und Katholizismus die innere Entwicklung in Deutschland bestimmt.

Die Probleme des Katholizismus in Deutschland
Seit dem Ende des Alten Reiches und der nach 1815 schrittweise sich ausbildenden Vorherrschaft Preußens, unter dessen Führung schließlich die nationale Einigung gegen das katholische Österreich vollzogen wurde, war der deutsche Katholizismus auf den Rang eines politisch, gesellschaftlich und sozial gleichermaßen benachteiligten Juniorpartners verwiesen, der lediglich noch ein knappes Drittel der Reichsbevölkerung umfasste. Durch innerkirchliche Entwicklungen wurde seine Lage noch zusätzlich erschwert. Der 1870 vom Ersten Vatikanischen Konzil verkündete Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes wirkte nicht allein im deutschen Katholizismus polarisierend, sondern stieß gerade in einer hoch emotionalisierten liberalen und protestantischen Öffentlichkeit auf entschiedene Ablehnung. Vom herrschenden Zeitgeist als kulturell rückständig und fortschrittsfeindlich attackiert und als >ultramontan< beargwöhnt, wurden kirchentreue Katholiken durch Bismarcks Kulturkampf (1871/1887) überdies mit dem Makel der >Reichsfeindschaft< belegt und unter Ausnahmerecht gestellt. Trotz aller späteren Anpassungsbemühungen blieben Katholiken bis zum Ende des Kaiserreichs von der Teilhabe an der politischen Macht ausgeschlossen.

Die Reaktion der Katholiken auf ihre besondere Lage in Deutschland
All dies hat das politisch-soziale Verhalten des deutschen Katholizismus auf Jahrzehnte hin tief und nachhaltig beeinflusst. Er reagierte auf die Herausforderung mit demonstrativem Zusammenschluss und einem Rückzug ins >Ghetto<. In der Folge bildete und verfestigte sich eine milieugestützte katholische Subgesellschaft. Das zeigte sich vor allem im Aufbau eines weit verzweigten, nahezu alle Lebensbereiche umfassenden Verbands und Vereinswesens mit einer in die Millionen gehenden Mitgliederzahl. Auch nahmen Zahl und Auflagenhöhe katholischer Presseorgane schlagartig zu. Gewichtigster Ausdruck katholischen Selbstbehauptungswillens war indessen die 1870 gegründete Deutsche Zentrumspartei, die zum Inbegriff des >politischen Katholizismus< wurde und als einzige der Reichstagsparteien über Wähler aus allen sozialen Schichten der (katholischen) Bevölkerung verfügte. Mit nachlassender Spannung bei gleichzeitig wachsender wirtschaftlicher Interessendifferenzierung verlor sie seit 1877 zwar langsam, aber stetig an Wählerstimmen, doch konnte sie (zusammen mit ihrer 1918 abgespaltenen Schwesterorganisation Bayerische Volkspartei) noch im Jahr ihrer von Hitler erzwungenen Selbstauflösung (1933) gut drei Fünftel der kirchlich aktiven Katholiken an sich binden. In der Weimarer Republik lag ihr durchschnittlicher Wähleranteil bei 16,2 Prozent der abgegebenen Stimmen”.

Die positive Einstellung des Katholizismus zur Weimarer Republik
Erst der verlorene Erste Weltkrieg,  in den übrigens Katholiken mit ähnlichem nationalen Überschwang gezogen waren wie ihre evangelischen Landsleute, der von revolutionären Unruhen begleitete Zusammenbruch der alten Ordnung und die mühsam errichtete Demokratie von Weimar, schufen für die volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung des deutschen Katholizismus die äußeren Voraussetzungen. Dies trug dazu bei, dass nach mancherlei Querschüssen aus den eigenen Reihen eine Mehrheit der Katholiken es vermochte, sich ohne Ressentiments auf den Boden der neu geschaffenen Tatsachen zu stellen. Katholische Politiker gehörten zu den ersten, die die Pflicht zur Übernahme politischer Verantwortung bejahten und die Chancen der neuen verfassungsrechtlichen Ordnung erkannten. Zusammen mit Sozialdemokraten und Linksliberalen wurde die Zentrumspartei zu einer der Stützen der chronisch schwachen Weimarer Republik, war in fast allen der rasch wechselnden (Koalitions)Regierungen vertreten und stellte insgesamt siebenmal den Reichskanzler. Zumindest partiell schien damit die alte Forderung »Heraus aus dem Ghetto!« verwirklicht zu sein.

Die Widerstandskraft des Katholizismus gegenüber dem Nationalsozialismus
Trotz wiederholter Anstrengungen gelang es aber nicht, die konfessionelle Zweiteilung der deutschen Gesellschaft politisch zu überwinden, das Zentrum in eine interkonfessionelle christliche Volkspartei umzuwandeln und ihm damit neue Wählerschichten zu erschließen. So sah die Partei sich auch weiterhin allein auf ihre angestammte, aber schrumpfende Klientel verwiesen. Der Zentrumsturm zeigte gegen Ende der Republik zunehmend Risse und angesichts der allgemeinen Staatskrise wurde auch unter Katholiken der Ruf nach einer autoritären Lösung immer lauter, doch erwies sich der katholische Milieuverband gegenüber dem Werben der NSDAP als bemerkenswert resistent. Wie die moderne Wahlforschung für die (Reichstags) Wahlen der Jahre 1930 bis 1933 gezeigt hat, war die Konfession sogar von bestimmendem Einfluss auf das nationalsozialistische Wählerverhalten: 1932 kam nur jeder achte NSDAP Wähler aus überwiegend katholischen, aber drei von vier NS-Wählern aus evangelischen Wahlkreisen. In nahezu allen katholischen Siedlungsgebieten schnitten die Nationalsozialisten weit unterdurchschnittlich ab und erst bei den Märzwahlen 1933 deuteten sich regional gewisse Verschiebungen an. Hitlers Aufstieg vollzog sich also im Wesentlichen gegen die Stimmen der bekenntnistreuen Katholiken, konnte durch sie aber auch nicht verhindert werden.

Die Staatsverbundenheit der Protestanten in Deutschland
Im evangelischen Deutschland dagegen traf Hitlers Machtanspruch auf anders gelagerte Voraussetzungen. Hier ist zunächst an den folgenreichen Umstand zu erinnern, dass der Protestantismus im Kaiserreich die dominierende Religion war und überdies auf eine 400jährige enge Bindung von Thron und Altar, von »kirchenfreundlicher Obrigkeit und obrigkeitsfreundlicher Kirche« zurückblicken konnte. Dies gilt namentlich für Preußen. Die bis zum Ende des Kaiserreichs gültige konfessionelle Rangordnung hat Kultusminister von Altenstein 1819 wie folgt umschrieben: »Der preußische Staat ist ein evangelischer Staat und hat über ein Drittel katholische Untertanen. Das Verhältnis ist schwierig. Es stellt sich richtig dar, wenn die Regierung für die evangelische Kirche sorgt mit Liebe, für die katholische Kirche sorgt nach Pflicht.« Und so konnte noch Ende Oktober 1918 der Berliner Hof und Domprediger Bruno Doehring äußern: »Das Königtum in Preußen ist uns Evangelischen tausendmal mehr als eine politische Frage, es ist uns Glaubensfrage«.

Das Bewusstsein kultureller Überlegenheit bei den Protestanten
Die Vorherrschaft des Protestantismus resultierte indes nicht lediglich aus der traditionell engen Bindung an den Staat, sie ergab sich auch aus der zentralen Bedeutung, die die reformatorischen Kirchen oder näherhin die von ihnen ausgehenden vielfältigen Impulse für das politische, gesellschaftliche und kulturelle Leben Deutschlands besaßen. Weite Bereiche in Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kultur waren in, wenn auch aufgeklärt  säkularisierter Form, protestantisch geprägt oder von Protestanten dominiert, Frucht gerade auch jenes intensiven Dialogs, den die protestantische Theologie mit der Gesellschaft führte. Im Bewusstsein vieler Zeitgenossen der letzten Jahrhundertwende schien eine direkte Linie von der Reformation über die Aufklärung zum liberalen Fortschrittsoptimismus der Gegenwart zu führen. Hierdurch begründete sich ein spezifisches Überlegenheitsgefühl gegenüber >katholischer Inferiorität< und >ultramontanem Obskurantismus<, das gerade in den Auseinandersetzungen des Kulturkampfes seine scharfen Konturen erhalten hatte.

Der besondere “Deutsch-Nationalismus” der Protestanten
Auch in den meinungsführenden politischen Parteien des Kaiserreichs, ihren weltanschaulichen Grundlagen, ihrer praktischen Politik und in der konfessionellen Zusammensetzung ihrer Mandatsträger war eine protestantische Vorherrschaft überall spürbar, ohne dass damit doch, von Teilen der Konservativen abgesehen, eine spezifische Nähe zur Kirche verbunden gewesen wäre. Nirgendwo freilich war die Symbiose von Protestantismus und Politik enger als in der nationalen Frage. Schon die frühe deutsche Nationalbewegung ist durch die Dominanz eines nationalprotestantischen Geschichtsbilds charakterisiert, das sich über den Vormärz und die Revolution von 1848 hinweg der kleindeutschen Einigungsbewegung mitteilte, wobei überkommene Kirchlichkeit sich rasch zu dogmatisch eher unbestimmter, aber jedenfalls antikatholischer Nationalreligion verflüchtigte. Deutschtum und Protestantismus, antirömischer Affekt und nationale Einigung unter preußischer Führung war der (national)liberalen Publizistik des Kaiserreichs eine zu selbstverständliche Einheit, als dass sie näherer Begründung bedurft hätte. Der kleindeutsche Nationalstaat war in dieser Optik nur logische Folge des geschichtlichen Fortschritts. Und während sich die politischen Umwälzungen von 1866/71 im wesentlichen zu Lasten der Katholiken vollzogen, empfanden Protestanten die Reichsgründung als Zementierung der evangelischen Vormachtstellung, als »heiliges evangelisches Reich deutscher Nation« (Adolf Stoecker).

Die eher negative Haltung der Protestanten gegenüber der Weimarer Republik
Um so mehr fühlte sich der deutsche Protestantismus durch die Revolution von 1918 getroffen, die das landesherrliche Kirchenregiment abrupt beendete und die Kirche unvorbereitet dem Kräftespiel einer pluralistischen, religiös indifferenten oder gar antikirchlichen Öffentlichkeit unterwarf. Ohnehin stärker >Theologen< als Volkskirche und ohne das stützende Korsett eines auch politisch aktivierbaren Milieuverbands, wie es dem Katholizismus eignete, mussten die Folgen gesellschaftlichen Einflussverlustes und nachlassender Kirchlichkeit doppelt spürbar werden. Der wachsende Einfluss der Linksparteien und des politischen Katholizismus, denen nun viele die Schuld an der Niederlage zuschrieben, wurde als Bedrohung empfunden. All dies bestärkte weite protestantische Kreise in demonstrativer Verweigerungshaltung und entschiedener Ablehnung der demokratischen Republik.

Die Rechtslastigkeit der Protestanten im politischen Bereich
Politisch suchte eine Mehrheit der kirchlich gebundenen Protestanten Anschluss bei den Rechtsparteien, namentlich der DNVP, bis schließlich seit 1928/29 die NSDAP zunehmend an Attraktivität gewann. Wie stark der antikatholische Affekt nach wie vor mobilisiert und politisch instrumentalisiert werden konnte, wurde bei der Reichspräsidentenwahl 1925 deutlich, als der von der nationalistischen Rechten nominierte Generalfeldmarschall von Hindenburg mit den Stimmen der protestantischen Mehrheit gegen den Kandidaten des demokratischen >Volksblocks<, den Zentrumsvorsitzenden Wilhelm Marx, zum Nachfolger Friedrich Eberts gewählt wurde’.

Mitte der zwanziger Jahre: Beginnende Distanzierung vom Staat
Erst Mitte der zwanziger Jahre fand die evangelische Theologie zu innerer Bejahung der neuen Lage und neuem kirchlichen Selbstbewusstsein. Das Ende des Bündnisses von Thron und Altar wurde nun als >Befreiung< empfunden (Otto Dibelius) und der Kirche ein dezidiert volkskirchlicher Auftrag zugewiesen. In der >politischen Theologie< einer Gruppe lutherischer Professoren (Emanuel Hirsch, Paul Althaus) fand diese Hinwendung zu Volk, Volkstum und den nationalen Anliegen der Deutschen ihre besondere Ausdeutung, stieß indes auf den entschiedenen Widerspruch der dialektischen Theologie von Karl Barth, der die liberale und nationalprotestantische Theologie zu radikaler Neubesinnung auf das Evangelium aufrief, sich dabei jedoch der aktuellen kirchenpolitischen Diskussion auf eigentümliche Weise entzog.

Demgegenüber: Die deutschen Christen
Die radikale Gegenposition zu Barth vertraten die so genannten Deutschen Christen, eine Gruppe nationalsozialistischer Protestanten um den Berliner Pfarrer Joachim Hossenfelder, die mit massiver Unterstützung der NSDAP erstmals bei den preußischen Kirchenwahlen im Herbst 1932 antraten und auf Anhieb ein Drittel der Sitze erobern konnten. In weitgehender Übernahme völkischer Parolen forderten sie einen »artgemäßen ChristusGlauben, wie er deutschem Luthergeist und heldischer Frömmigkeit entspricht«, und verlangten, die Rassenreinheit auch zum Kriterium der Kirchenmitgliedschaft zu machen. Die kleine und weithin einflusslose Gruppe der Religiösen Sozialisten erklärte dagegen kurz und bündig: »Christentum und Faschismus sind unvereinbar«.

Fazit: Die Haltung der evangelischen Christen gegenüber dem Nationalsozialismus
Diese für den innerprotestantischen Meinungspluralismus kennzeichnenden Richtungsgegensätze erklären, warum die evangelische Kirche gegenüber den Werbefeldzügen der Nationalsozialisten nicht zu einheitlicher Haltung fand. Ohnedies fehlten hierzu auch alle organisatorischen Voraussetzungen, da die konfessionsverschiedenen (lutherisch, uniert, reformiert) 28 Landeskirchen seit 1922 lediglich lose im Deutschen Evangelischen Kirchenbund zusammengeschlossen, im übrigen jedoch eifersüchtig auf ihre Selbständigkeit bedacht waren. Doch ist andererseits auch nicht zu übersehen, dass gerade die traditionelle Identifizierung des Protestantismus mit der deutschen Nation ihn für die nationalen Parolen der NSPropaganda empfänglich machte. Die Ergebnisse der Reichs und Landtagswahlen seit dem Ende der zwanziger Jahre zeigen jedenfalls, dass die NSBewegung in evangelischen Bevölkerungskreisen ein überdurchschnittliches Echo fand und die Wahlen zwischen 1930 und 1933 vor allem unter konfessionellen Vorzeichen entschieden wurden.

3. Der nationalsozialistische Totalitätsanspruch

Das Doppelgesicht der NSDAP zu Beginn der dreißiger Jahre

Zu Beginn der dreißiger Jahre präsentierte sich die NSDAP der durch die allgemeine Staats und Wirtschaftskrise gleichermaßen verunsicherten Wählerschaft in einer gewissen Janusköpfigkeit25. Einerseits stand sie für eine lange Reihe politischer Morde, für abstoßende Krawallszenen, rüden Antisemitismus und beispiellose Verunglimpfungen des politischen Gegners, andererseits für die höchst populäre Forderung nach einer Revision des Versailler Vertrags, für die Überwindung lähmenden Parteienhaders und den wirtschaftlichen Wiederaufstieg des Reiches im Geist >wahrer Volksgemeinschaft<. Mit der effektvollen Inszenierung solcher Parolen gelang es der Parteiführung, zum Sprachrohr eines mehr dumpf erspürten als in seinen Ursachen analysierten weit verbreiteten Krisenbewusstseins zu werden.

Hitlers Anfangszurückhaltung gegenüber religiösen Übergriffen
Hitler hatte aus den völkischsektiererischen Anfängen der NSDAP und dem misslungenen Novemberputsch von 1923 bekanntlich den Schluss gezogen, dass die politische Macht nur über die Mobilisierung von Wählermassen errungen werden könne. Diesem Ziel waren die Nationalsozialisten, bis 1928/29 nur eine unbedeutende Splitterpartei, mit der »Katastrophenwahl« vom 14. September 1930, bei der ihnen ein geradezu kometenhafter Aufstieg zur zweitstärksten Reichstagsfraktion gelang, ein gutes Stück näher gekommen. Attacken auf die Kirchen, die breite Wählerschichten nur hätten vor den Kopf stoßen können, verboten sich daher schon aus wahltaktischen Gründen. »Dem politischen Führer«, heißt es bezeichnenderweise in »Mein Kampf«, »haben religiöse Lehren und Einrichtungen seines Volkes immer unantastbar zu sein.«

Hitlers Erfolge im christlichen Lager
Wenn Hitler daher zu religiösen Sektierern in seiner Bewegung auf Distanz ging, konfessionelle Auseinandersetzungen in den eigenen Reihen zu vermeiden suchte und sich den Kirchen nachdrücklich als Bundesgenosse gegen den >gottlosen Bolschewismus< empfahl, hatte er vor allem die weitere Verbreiterung seiner Wählerbasis im Blick. Nach den Septemberwahlen 1930 setzte ein regelrechter Werbefeldzug uniformierter NSAnhänger um die Kirchen ein: Der Nationalsozialismus wurde gezeigt als kraftvolle politische Alternative, die »unsere Kultur wieder mit christlichem Geist zu erfüllen« versprach. Dergleichen hob sich deutlich von der Agitation linker Freidenkerverbände ab und trug zu Hitlers politischem Triumph bei der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 bei, als die NSDAP zur stärksten parlamentarischen Kraft wurde und zusammen mit der KPD eine absolute Verweigerungsmehrheit besaß. Lediglich im katholischen Raum hatten die Warnungen der Bischöfe vor dem Nationalsozialismus ein Hindernis gebildet, weswegen Hitler diese Abwehrfront durch den Vorwurf aufzubrechen suchte, der politische Katholizismus missbrauche die Religion zu parteipolitischen Zwecken.

Hitlers Versprechungen 1933
Hitler setzte die so augenscheinlich erfolgreiche Taktik zunächst auch nach der >Machtübernahme< fort. Unmittelbar nach seiner Ernennung zum Reichskanzler bezeichnete er es in einem Aufruf an das deutsche Volk als die feste Absicht der neuen Reichsregierung, »das Christentum als Basis unserer gesamten Moral … in ihren festen Schutz (zu) nehmen«. Der >Tag von Potsdam<, an dem symbolträchtig der Schulterschluss des >alten< Preußen mit dem >neuen< Deutschland vollzogen wurde, erhielt gleichfalls ein dezidiert christlichnationales Gepräge, und endlich sicherte Hitler den Kirchen auch in seiner Regierungserklärung vom 23. März 1933  die der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz unmittelbar vorausging  den Ausbau freundschaftlicher Beziehungen zu und versprach namentlich, ihnen in Schule und Erziehung »den ihnen zukommenden Einfluss ein(zu)räumen«.

Das Christentum im NSDAP-Programm
Hinter Hitlers wirkliche Absichten zu kommen war für die Zeitgenossen schwierig. Nach § 24 ihres Parteiprogramms von 1920 vertrat die NSDAP »als solche … den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden«, eine zwar interpretationsbedürftige, aber auch wieder nicht antikirchliche Formulierung, die allerdings durch den Zusatz hätte aufhorchen lassen können, dass Religionsfreiheit nur solchen Glaubensgemeinschaften gewährt werden sollte, die nicht den Bestand des Staates gefährdeten »oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse« verstießen.

Die wahren Absichten Hitlers
Heute ist klar, dass Hitlers christlich getönte deutschnationale Phraseologie lediglich ein Werben um Wählerstimmen, nicht etwa Hinnahme des konkurrierenden weltanschaulichen Gestaltungsanspruchs der Kirchen war. Denn die zentralen Ziele der nationalsozialistischen >Heilslehre<, der Kampf um die Vorherrschaft der >arischen Herrenrasse<, die als antibolschewistischer Kreuzzug ideologisch unterbaute Eroberung von >Lebensraum< im Osten und die Vernichtung des Judentums, waren nach seiner ÜÜberzeugung nur mit dem >neuen<, im nationalsozialistischen Geist erzogenen Menschen zu erreichen, der frei sein musste von der >jüdischen Mitleidsmoral< des Christentums. Nachdem Hitler an die Macht gelangt war, war daher die systematische weltanschauliche Indoktrinierung der Bevölkerung und namentlich der Jugend für ihn oberstes Gebot.

Die natürliche Gegnerschaft zwischen den Kirchen und dem Nationalsozialismus
Mit diesem politischen und ideologischen Totalitätsanspruch, der »alle Bereiche des menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns« (Joseph Goebbels) zu umfassen beanspruchte, griff der Nationalsozialismus weit über die herkömmlichen Forderungen rechtsautoritärer Regime hinaus. Er beanspruchte eine Weltdeutungs und Sinngebungskompetenz, die ihn zum Todfeind der an der biblischen Überlieferung orientierten Kirchen machen musste. »Wir werden selbst eine Kirche werden«, notierte Goebbels als Quintessenz einer Geheimrede, die Hitler am 5. August 1933 auf dem Obersalzberg gehalten hatte, wobei zunächst offen blieb, ob dies auf dem Weg einer mehr oder weniger freiwilligen Einbindung der Kirchen, einer erzwungenen Unterwerfung oder radikaler Verfolgung und Zerschlagung geschehen sollte.

Hitlers Pragmatismus gegenüber der Religion
Gleichwohl lassen die Goebbelstagebücher erkennen, dass Hitler sich nicht eigentlich als »Religionsstifter« empfand und gegenüber entsprechenden Initiativen politischer Weggefährten stets skeptisch blieb. »Am besten«, meinte er 1939 zynisch, »erledigt man die Kirchen, wenn man sich selbst als positiven Christen ausgibt«, womit zugleich eine authentische Interpretation von Artikel 24 des Parteiprogramms gegeben war. Schon zweieinhalb Jahre zuvor hatte Goebbels notiert: »Christentum heißt die Parole zur Vernichtung der Pfaffen«. Wie Hitler beurteilte auch er die >Lösung der Kirchenfrage< vor allem unter machttaktischen Gesichtspunkten, war in der Wahl der Methoden flexibel und ließ lediglich an einem keinen Zweifel aufkommen: dass nämlich den Kirchen jeglicher Einfluss auf die Öffentlichkeit systematisch beschnitten werden sollte. Entsprechend mehrgleisig verlief auch die nationalsozialistische Kirchenpolitik, sofern beim Neben und Gegeneinander der vielen konkurrierenden Kräfte in Staat und Partei überhaupt von konsequenter Verfolgung einer klaren kirchenpolitischen Linie gesprochen werden kann. Neben Goebbels und seinem meinungslenkenden Imperium, neben Alfred Rosenbergs weltanschaulichen Feldzügen und der antichristlichen Propaganda zahlreicher NSOrganisationen, neben Kirchenfeinden wie dem eher im Verborgenen agierenden Leiter der Parteikanzlei Martin Bormann, neben politisierter Justiz und schikanöser Verwaltungspraxis staatlicher und parteiamtlicher Dienststellen war der Kirchenkampf vor allem eine Domäne von SS, SD und Gestapo.
Der Reichskirchenminister, dem die Koordinierung der einzelnen kirchenpolitischen Maßnahmen oblegen hätte, konnte bei dieser Konkurrenzsituation nur zerrieben werden36. Dies gilt namentlich seit der völligen Eroberung der Polizei durch Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich, beide sahen in der (schrittweisen) Zurückdrängung und schließlichen Vernichtung der Kirchen eine zentrale, aber eben mit staatspolizeilichen Mitteln zu lösende Aufgabe. Hingegen konzentrierte sich Bormann auf die radikale Trennung von Staat und Kirche, die er in den nicht durch staatskirchenrechtliche Vereinbarungen geschützten Landesteilen zu verwirklichen suchte.

Nationalsozialistische Übergriffe in Österreich
So wurden beispielsweise in Österreich nach dem >Anschluss< die Kirchen in vermögensrechtlicher Hinsicht dem Staat unterstellt38. Noch sehr viel weiter ging man im nationalsozialistischen Mustergau »Wartheland«, der nach dem Einfall in Polen aus der früheren preußischen Provinz Posen gebildet wurde. Hier exerzierte das Regime vor, wie es sich eine künftige kirchenpolitische Flurbereinigung auch im >Altreich< vorstellte: Durch Verordnungen des Reichstatthalters Greiser wurden die Kirchen ihres öffentlichrechtlichen Charakters beraubt, auf den Status privater Kultvereine herabgedrückt und völlig dem Willen der Machthaber ausgeliefert. Die meisten Kirchengebäude waren geschlossen, der Klerus vertrieben, inhaftiert, schikaniert, viele  (polnische) Priester wurden ermordet.
In einem geheimen Rundschreiben an alle Gauleiter erklärte Bormann Anfang Juni 1941 Nationalsozialismus und Christentum für unvereinbar und stimmte seine Adressaten auf die »restlose« Beseitigung kirchlicher Einflussmöglichkeiten ein, die lediglich aus taktischen Gründen auf die Zeit nach dem »Endsieg« verschoben wurde40. Auch die SS bereitete sich darauf vor. »Die politische Kirche«, heißt es in einer Anweisung aus dem gleichen Jahr, »übernimmt heute die Rolle der Spartakisten und Marxisten von 1918. Für diese Haltung ist ihr einst die Rechnung zu präsentieren«.

4. Nationale Aufbruchsstimmung im Protestantismus 1932/33

Die Grundhaltung des deutschen Protestantismus
Was im Rückblick als zielbewusste, lediglich durch taktische Rücksichten verschleierte Vernichtungsstrategie erscheint, war für die Zeitgenossen in den Anfangsjahren des Dritten Reiches noch nicht von gleicher Eindeutigkeit. Vielmehr zeigen die Wahlerfolge der NSDAP seit 1929/30, dass Hitlers Werben seinen Eindruck auf den kirchentreuen Protestantismus nicht verfehlte; es schlug sich aber auch im Votum einer breiten, eher kirchendistanzierten (evangelischen) Wählerschaft nieder.
Der positive Widerhall Hitlers wurde indes nicht allein durch die ohnehin vorhandene »nationale Grundtendenz des Protestantismus« (Klaus Scholder) begünstigt, sondern auch durch andere Umstände, nämlich erstens durch Auswirkungen jener volkskirchlichen Theologie, die seit Mitte der zwanziger Jahre Volk und Nation als besondere Größen kirchlicher Zuwendung entdeckt hatte, zweitens durch eine gerade unter jüngeren Theologen anzutreffende Eigentümlichkeit, politische Zeitströmungen biblischtheologisch zu begleiten, und drittens durch einen im evangelischen Deutschland verbreiteten deutschnationalen Konfessionalismus, der sich mit der >katholischsozialistischen< Weimarer Republik und dem gestiegenen Einfluss des Zentrums nie abgefunden hatte. Insofern sah Anfang Februar 1933 nicht nur der mecklenburgische Landesbischof Heinrich Rendtorff in der »Einigung zwischen Hindenburg, Hitler und Hugenberg« für »mindestens 80 Prozent der bewussten Protestanten eine klare Losung«.

Protestantischer NS-Enthusiasmus ab März 1933
Nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 überwogen daher in den evangelischen Landeskirchen die enthusiastischen Kommentare bei weitem die skeptischen Stimmen. Für die >Kirchliche Rundschau für Rheinland und Westfalen< etwa ging ein »Frühlingserwachen … durch unser Volk«, und ein Aufruf der evangelischlutherischen Landeskirche Bayerns versicherte am 13. April 1933: »Ein Staat, der wieder anfängt, nach Gottes Gebot zu regieren, darf in diesem Tun nicht nur des Beifalls, sondern auch der freudigen und tätigen Mitarbeit der Kirche sicher sein«. Und selbst ein so nüchterner Mensch wie der Generalsuperintendent der Kurmark Otto Dibelius, der im übrigen aller Willkür und rohen Gewalt eine klare Absage erteilte, gab sich in seiner Festpredigt am Tag von Potsdam überzeugt, dass ungeachtet aller irritierenden Begleitumstände der >nationalen Revolution< die Mehrheit des deutschen Volkes zum ersten Mal seit den Augusttagen 1914 wieder »das Höchste« erlebe, »was eine Nation überhaupt erleben kann: einen Aufschwung des vaterländischen Gefühls, der alle mit sich fortriss«.
Neben solch weit verbreitetem allgemeinen Vertrauensvorschuss verfügte Hitler mit den nationalsozialistischen Deutschen Christen über eine innerprotestantische Hilfstruppe, die nach der politischen nunmehr auch die kirchliche Machtergreifung erstrebte. Wenngleich ihr Programm von bemerkenswerter theologischer Dürftigkeit war, trug ihre antisemitische Haltung doch dazu bei, dass das rüde Vorgehen der Nationalsozialisten gegen »Marxisten« und Juden im deutschen Protestantismus vor allem als ein Eindämmen angeblich »zersetzender« antichristlicher Einflüsse verstanden wurde, wie man sie namentlich liberalfreigeistigen oder politisch linksorientierten Juden und ihrer Präsenz in Wirtschaft, Presse, Kultur und Wissenschaft zuschrieb. Nur wenige wie der junge Berliner Theologe Dietrich Bonhoeffer erhoben damals warnend ihre Stimme.
Der Sympathiebonus, den die nationale Regierung bei den evangelischen Landeskirchenleitungen besaß, war aber keineswegs gleichbedeutend mit rückhaltloser Eingliederungsbereitschaft. Die Haltung der meisten Kirchenleitungen lässt sich vielmehr auf die Formel bringen: Mitarbeit ja, aber Kirche muss Kirche bleiben! Als daher die Deutschen Christen auf ihrer Reichstagung Anfang April 1933 die vorbehaltlose Gleichschaltung der 28 evangelischen Landeskirchen und ihre Vereinigung in einer Deutschen Evangelischen Reichskirche forderten, die den losen Zusammenschluss im Deutschen Evangelischen Kirchenbund ablösen sollte, stießen sie auf Widerspruch. Hitler ernannte daraufhin am 25. April den (deutschchristlichen) Wehrkreispfarrer Ludwig Müller zu seinem Bevollmächtigten, um Einfluss auf die weitere Entwicklung zu nehmen. In einzelnen Landeskirchen, vor allem auch in Preußen, kam es darüber hinaus zu massiven staatlichen Eingriffen und der Einsetzung eines Staatskommissars.
Die Landeskirchenleitungen suchten einer drohenden Gleichschaltung zuvorzukommen, indem sie ein DreiMännerKollegium mit der Vorbereitung einer Verfassungsreform beauftragten und Ende Mai 1933 den Leiter der Betheler Anstalten, Pastor Fritz von Bodelschwingh, zum Reichsbischof nominierten. Bodelschwingh konnte sich indes nicht durchsetzen, zumal er ohne nachhaltige Unterstützung blieb. Er trat zurück, noch ehe am 11. Juli 1933 die Verfassung für eine einheitliche Deutsche Evangelische Reichskirche verabschiedet und mit Gesetz vom 14. Juli 1933 von Reichs wegen anerkannt wurde. Ein Triumph der Deutschen Christen schien vollends unabwendbar, nachdem sie bei den Kirchenwahlen vom 23. Juli 1933 dank massiver Unterstützung durch die Nationalsozialisten fast überall die Mehrheit erlangt hatten.
Am 27. September wurde Ludwig Müller von der Wittenberger Nationalsynode einstimmig zum Reichsbischof gewählt. Wichtige evangelische Organisationen ließen sich daraufhin gleichschalten; die evangelischen Jugendverbände traten Anfang Dezember 1933, freilich nicht ohne innere Kämpfe, geschlossen zur HitlerJugend über. In zahlreiche landeskirchliche Verfassungen wurde nun die staatliche Judengesetzgebung (Arierparagraph) eingeführt46, und Mitte November verlangte der Gauobmann der Deutschen Christen von GroßBerlin sogar, den Gottesdienst von allem »Undeutschen« und das evangelische Bekenntnis vom »Alten Testament mit seiner jüdischen Lehrmoral« und seinen »Viehhändler und Zuhältergeschichten« zu befreien47. Der Triumph der Deutschen Christen, so konnte es scheinen, war vollkommen.

5. Scheidung der Geister 1933 bis 1939

Formierung des protestantischen Widerstands
Als die nationale Eingliederungsbereitschaft im Protestantismus und die Machteroberung der Deutschen Christen ihren äußeren Höhepunkt erreicht hatten, formierte sich gleichzeitig der innerkirchliche Widerstand. Er entzündete sich bezeichnenderweise an der Einführung des Arierparagraphen in das Kirchenrecht, durch den die »Bekenntnisfrage« aufgeworfen war. Dieser Widerspruch wurde von zwei Kräften getragen, erstens einem neu erwachten innerkirchlichen Selbstbewusstsein, das sich gegen die rechtlichinstitutionelle Vereinnahmung der Kirchen durch das Regime wandte und namentlich von den sog. intakt gebliebenen Landeskirchen Bayerns, Hannovers und Württembergs gestützt wurde, und zweitens von einer Neubesinnung auf das evangelische Bekenntnis, die stark von Karl Barths dialektischer Theologie und seiner im Sommer 1933 erschienenen Schrift »Theologische Existenz heute!« geprägt war.

Martin Niemöller

Martin Niemöller, Pfarrer in BerlinDahlem, der wie sein Bruder Wilhelm anfangs durchaus zu den begeisterten Parteigängern der >nationalen Revolution< gehört hatte, doch seit den Kirchenwahlen im Juli des Politisierens in der Kirche gründlich überdrüssig war, griff Barths Anstöße auf und gründete zusammen mit Gesinnungsfreunden Ende September 1933 einen »Pfarrernotbund«, dessen Mitglieder sich zum unverkürzten Festhalten an der Heiligen Schrift und den reformatorischen Glaubensbekenntnissen verpflichteten. Dieser Bund verstand sich nicht etwa als politische, antinationalsozialistische, sondern ausschließlich als eine gegen die Deutschen Christen gerichtete innerkirchliche Oppositionsbewegung, aber indem er gerade den Arierparagraphen als konkrete Verletzung des evangelischen Bekenntnisses angriff und damit ein zentrales Postulat des Regimes in Frage stellte, erhielt er eben doch eine politische Note.

Die Geburtsstunde der Evangelischen Bekennenden Kirche
Bis Januar 1934 waren ca. 7000 Mitglieder, ein gutes Drittel aller amtierenden Geistlichen, dem Notbund beigetreten. Gleichzeitig bildeten sich auch erste gegen den Machtanspruch der Deutschen Christen gerichtete freie Synoden. Sie beschickten Ende Mai 1934 gemeinsam die erste Reichsbekenntnissynode in Barmen, wo sie gegenüber dem Kirchenregiment von Reichsbischof Müller und den Deutschen Christen den Anspruch erhoben, die wahre Deutsche Evangelische Kirche zu repräsentieren. Im Barmer Bekenntnis vom 29. Mai 1934 mit seinen sechs Thesen und Verwerfungen gaben sie sich eine am Evangelium orientierte Bekenntnisschrift. Das war die Geburtsstunde der Evangelischen Bekennenden Kirche.

Der Zusammenbruch von Müllers Kirchenregiment
Unterdessen erwies Müller sich als außerstande, die faktische Kirchenspaltung zu überwinden. Vielmehr traten die Synodalen unter dem Eindruck der von ihm verhängten Zwangsmaßnahmen im Herbst 1934 in BerlinDahlem zur zweiten Reichsbekenntnissynode zusammen. Nunmehr wurde auch offiziell den deutschchristlichen Kirchenleitungen der Gehorsam aufgekündigt. Ende Oktober 1934 brach Müllers Kirchenregiment zusammen.

Hitlers zweiter Ansatz: 1935 Hanns Kerrl als neuer Reichskirchenminister
Auch Hitler war inzwischen der innerprotestantischen Streitigkeiten überdrüssig. Er hielt jedoch am Nahziel eines möglichst »friedlichschiedlichen Arrangement(s) mit den Kirchen« fest, dessen Bedingungen er zu bestimmen gedachte, ohne dabei das weiterreichende Ziel ihrer völligen Unterwerfung unter den nationalsozialistischen Totalitätsanspruch aus dem Auge zu verlieren53. Zur Verstärkung staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten betraute er am 16. Juli 1935 Hanns Kerrl mit dem neu geschaffenen Amt eines Reichskirchenministers.
Kerrl, der persönlich an eine Vereinbarkeit von Nationalsozialismus und Christentum glaubte, war zunächst guten Willens, den innerkirchlichen Streit durch gütliche Einigung beizulegen. Er brachte nach eingehender Fühlungnahme am 24. September 1935 ein »Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche« auf den Weg und wirkte auf die Bildung eines Reichskirchen sowie landeskirchlicher Ausschüsse hin, die das von den Deutschen Christen hinterlassene Chaos überwinden sollten.
Nach Anfangserfolgen scheiterte die Kirchenausschlusspolitik jedoch an unaufhebbaren Widersprüchen zwischen dem Evangelium und der nationalsozialistischen Rassenideologie. In der Auseinandersetzung über die theologische Grundsatzfrage, ob mit staatlich verfügten Ausschüssen zusammengearbeitet werden solle, spaltete sich die Bekennende Kirche in eine »gemäßigte« Gruppe, die aus den drei intakt gebliebenen Landeskirchen und einigen lutherischen Bruderräten bestand (»Bruderräte« hießen die kraft kirchlichen Notrechts gegen die deutschchristlichen Kirchenleitungen gebildeten Zusammenschlüsse), und eine »radikale(re)« Gruppe, die aus vornehmlich preußischen Bruderräten bestand. Letztere wählte am 12. März 1936 eine (zweite) »Vorläufige Kirchenleitung«, während erstere sich sechs Tage später im »Rat der EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands« zusammenschloss.
Da gleichzeitig Zahl und Einfluss radikaler Kirchengegner innerhalb der NSDAP zunahmen, scheiterten 1937/38 auch weitere Versuche, doch noch zu einer Einigung der zerstrittenen Parteien zu kommen. Offenkundig war Kerrl auf Erhaltung einer staatsloyalen protestantischen Kraft bedacht. »Kerrl will die Kirche konsolidieren, wir wollen sie liquidieren«, kommentierte Goebbels in seinem Tagebuch, musste indes hinnehmen, dass auch sein eigener Vorschlag, die streitenden Parteien durch Gewährung freier Kirchenwahlen »sich in einem Parlament totlaufen« zu lassen, nicht realisiert wurde. Rigorose Maßnahmen hielt Goebbels aus taktischen Gründen noch für untunlich.
Gleichwohl nahm unterhalb der Schwelle offener Kirchenverfolgung die Bedrückung durch harte administrative Maßnahmen, darunter eine spektakuläre Verhaftungsaktion gegen 700 Pfarrer (1935), vor allem aber durch eine immer unverhohlener propagierte ideologische Kampagne zu. Die Ernennung Alfred Rosenbergs, eines erklärten Todfeindes des Christentums, zum obersten weltanschaulichen Erzieher der NSDAP (24. Januar 1934), zahllose antikirchliche Schulungsveranstaltungen für die Kader der Partei, eine offenkundige Förderung neuheidnischer völkischreligiöser Bewegungen und Kampagnen zur »Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens« und zum Kirchenaustritt waren Alarmsignale für beide Kirchen56.
Durch tradierte Obrigkeitsfixierung wie den vorherrschenden Führermythos gleichermaßen begünstigt, blieb freilich stets in eigentümlichem Zwielicht, inwieweit Hitler und die Regimeführung hinter den zahllosen Übergriffen >untergeordneter Organe< standen. Insofern haben auch die entschiedensten Anhänger der Bekennenden Kirche an ihrer grundsätzlichen staatsbürgerlichen Loyalität zur Führung des Reiches nie einen Zweifel gelassen. Als politische Opponenten verstanden sie sich nicht, auch wenn der Ton der kirchlichen Einsprüche gegen die weltanschauliche Herausforderung seit 1936 entschiedener wurde. Das gilt namentlich für eine Denkschrift der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche an Hitler, in der die Verfasser unter dem 28. Mai 1936 den ideologischen Totalitätsanspruch der NSDAP ablehnten und zugleich vor den Folgen von Judenhass und Gestapoterror warnten.
Zu öffentlichen Protesten der Kirchenleitungen gegen den reichsweiten Judenpogrom vom 9./10. November 1938 kam es indessen nicht. Vielmehr herrschte betretenes Schweigen vor, in das der deutschchristliche Landesbischof von Thüringen, Martin Sasse, einen schrillen Missklang brachte, indem er die »Kristallnacht« als »gottgesegnete(n) Kampf des Führers zur völligen Befreiung unseres Volkes« pries und zugleich den »Weltkatholizismus« und den »OxfordWeltprotestantismus« als »Judenschutzherren« attackierte.
Andererseits blieb schärfer blickenden Zeitgenossen nicht verborgen, dass der weltanschaulich begründete Widerspruch der Kirche einem Regime, das jede konkurrierende Norm und Wertesetzung bekämpfte, wenn schon nicht der Intention, so doch der Wirkung nach als politischer Widerstand erscheinen musste. Das wurde gerade im Februar 1938 beim Prozess gegen Pfarrer Martin Niemöller deutlich, der im In wie Ausland große Aufmerksamkeit fand. Wegen angeblicher Kanzelhetze und anderer regimekritischer Aktivitäten zu sieben Monaten Haft verurteilt, die durch die Untersuchungshaft als verbüßt galten, wurde er gleichwohl als »persönlicher Gefangener des Führers« in das KZ Sachsenhausen verbracht, wo er bis Kriegsende verblieb. Dies war ein öffentliches Signal für die Verschärfung des Kirchenkampfes.

6. Die Suche nach einem Modus vivendi im Katholizismus 1933

Während die nationalsozialistische Machtübernahme zu erheblichen innerprotestantischen Orientierungsschwierigkeiten führte, verlief die Entwicklung im deutschen Katholizismus deutlich anders. Als Milieuverband wie durch die hierarchische Gliederung der Kirche geschlossener als der Protestantismus, gegenüber nationalen Verstiegenheiten stärker auf Nüchternheit bedacht und in den katholischen Parteien überdies ein Hauptziel nationalsozialistischer Attacken, war die Haltung der katholischen Kirche bis zur Märzwahl 1933 durch die bischöflichen Warnungen vor dem Nationalsozialismus bestimmt, aber auch durch die weithin geschlossene Abwehrfront katholischer Verbände, die in einem dramatischen »Mahnruf« vom 17. Februar 1933 vor dem »Bolschewismus … unter nationalen Vorzeichen« gewarnt hatten. Noch am 5. März 1933 stimmten ca. zwei Drittel der bekenntnistreuen Katholiken für Zentrum und Bayerische Volkspartei, und das restliche Drittel tendierte stärker zu den Linksparteien als zur NSDAP.
Durch die Machtübertragung an Hitler hatte sich für die Bischöfe aber eine veränderte Ausgangslage ergeben, indem nun aus einer weltanschaulich verurteilten politischen Bewegung der (legale) Inhaber der staatlichen Gewalt geworden war, dem man nach traditioneller Auffassung den staatsbürgerlichen Gehorsam schuldete. Hitlers Wahlsieg vom 5. März verschärfte dieses Dilemma noch; die katholischen Parteien wurden künftig zur Mehrheitsbildung nicht mehr benötigt. Als gewiefter Taktiker kam Hitler den christlichen Kirchen durch die erwähnten politischen Zusicherungen entgegen. Damit ermöglichte er dem politischen Katholizismus die (innerparteilich hart umstrittene) Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz, die aufgrund der gegebenen Stimmenverhältnisse zwar nicht erforderlich, aus optischen Gründen dagegen Hitler desto willkommener war . Hierdurch unter Zugzwang gesetzt, zogen die Bischöfe am 28. März 1933 ihre allgemeinen Verbote und Warnungen zurück, ohne damit allerdings ihre Verurteilung der nationalsozialistischen Weltanschauung aufzuheben. In der vorherrschenden nationalen Aufbruchsstimmung konnte dieser Schritt aber kaum anders denn als »QuasiApprobation« (Franziskus Stratmann) der nationalen Regierung verstanden werden, wenngleich ihm vor allem die pastorale Erwägung zu Grunde lag, den Katholiken die Entscheidung des EntwederOder zu ersparen und sie nicht abermals, wie im Kulturkampf, ins nationale Abseits zu manövrieren.
In der Tat war inzwischen unübersehbar, dass die höchst wirkungsvoll verbreiteten nationalen Einigungsparolen Hitlers auch im katholischen Deutschland ihren Eindruck nicht verfehlten. So mehrten sich schon bald nach dem Märzsieg die Stimmen, vor allem in studentischen und akademischen Kreisen sowie im katholischen Adel, die zu aktiver Mitgestaltung des neuen Deutschlands aufriefen. Auch einige fortschrittsbewegte Theologieprofessoren meldeten sich zu Wort, bemühten sich um Brückenschläge zwischen katholischer und nationalsozialistischer Weltanschauung, glaubten in der beiderseitigen Betonung der Autorität und im Kampf gegen den Bolschewismus ein Gemeinsames ausgemacht zu haben und blickten voll Optimismus in die Zukunft.
Hingegen wurden die katholischen Parteien, von den Nationalsozialisten als Relikte der »Systemzeit« diffamiert und hart bedrängt, von rasch wachsender Entmutigung erfasst; sie lösten sich schließlich am 4. und 5. Juli 1933 als letzte der noch verbliebenen demokratischen Parteien selbst auf, um einem drohenden Verbot zuvorzukommen68. Auch die katholische Presse  1932 gab es immerhin 434 katholische Tageszeitungen  und das mitgliederstarke katholische Verbandswesen drohten nun in den Sog von Umsturz und Gleichschaltung gezogen zu werden. Eine landesweite Gestapoaktion vom 1. Juli gegen führende Verbandszentralen war ein unüberhörbares Warnsigna1.
Vorübergehend schien es allerdings, als würden die seit Mitte April 1933 geführten Verhandlungen über ein Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und der Reichsregierung ein einvernehmliches Nebeneinander von Kirche und Staat ermöglichen können. Diesen Verhandlungen lag ein Angebot Hitlers zugrunde, der damit an die Lateranverträge Mussolinis von 1929 anknüpfte und vor allem zwei Ziele verfolgte: die Demontage der katholischen Parteien durch das Verbot der parteipolitischen Betätigung des Klerus und Prestigegewinn nach innen und außen durch die moralische Autorität des vatikanischen Vertragspartners.
Das Konkordat
Über die Opportunität eines Reichskonkordats waren die Meinungen sehr geteilt. Schließlich setzte sich kirchlicherseits die Auffassung durch, dass ein solch weit reichendes Angebot Hitlers schwerlich ausgeschlagen werden könne, ohne die Verantwortung für die Folgen der dann auch rechtlich ungeklärten Situation einseitig der Kirche anzulasten. Ohnehin hatte das kirchliche Zugeständnis der Entpolitisierung des Klerus durch das unerwartet rasche Ende der Parteien seinen Charakter als Trumpfkarte verloren. Aber es blieb die Aussicht, dass ein in die feierliche Form, internationalen Vertragsrechts gekleidetes Konkordat bei eventuellen künftigen Konflikten eine Verteidigungslinie darstellen könnte. So kam es nach Überwindung mannigfacher Schwierigkeiten am 20. Juli 1933 zur Vertragsunterzeichnung. Das Konkordat sicherte der Kirche freie, ungehinderte Betätigung zu, garantierte den Erhalt, ja Ausbau des kirchlichen Einflusses im Erziehungswesen und gab eine Bestandsgarantie für die katholischen Verbände, allerdings nur, soweit sie sich rein religiös betätigten. Die Betätigungsfreiheit der übrigen Organisationen sollte späterer, vom Regime dann jedoch immer wieder verschleppter Regelung vorbehalten bleiben.

7. Klärung der Fronten 1933 bis 1939

Die Realität des Konkordats
Bereits im Herbst 1933 zeigte sich, welch tiefe Gräben zwischen Vertragstext und Konkordatsvollzug klafften. Die nationalsozialistischen Organisationen, allen voran HitlerJugend und Deutsche Arbeitsfront, dachten gar nicht daran, sich durch katholischkirchliche Aktivitäten in ihrem totalitären Erfassungsanspruch beeinträchtigen zu lassen. »Kirchen und Konfessionen haben nichts mit den praktischen Dingen des Lebens zu tun, sondern mit denen des Glaubens«, ließ sich der neu ernannte Reichskirchenminister Hanns Kerrl 1935 vernehmen und wies den Kirchen damit ein Reservat zu, das mit ihrem herkömmlichen Rollenverständnis unvereinbar war.
Eine Fülle schikanöser Maßnahmen von Seiten staatlicher und parteiamtlicher Dienststellen richtete sich in den folgenden Jahren gegen das katholische Verbandsund Pressewesen, das sich im Unterschied zum Protestantismus der Gleichschaltung großenteils hatte entziehen können. Ungeachtet aller Bekundungen zu »nationalem Aufbauwillen« wurden gerade die großen Jugend und Arbeitervereine mit ihren vielen hunderttausend Mitgliedern immer stärker bedrängt und seit 1935 schrittweise aufgelöst, wobei die Gestapo ihre Verbotsverfügungen bezeichnenderweise auf die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 »zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte« stützte.
Seit 1934/35 wurde diese administrative Unterdrückungspolitik durch die massive weltanschauliche Kampfansage der Partei überlagert, die, wie geschildert, auch die evangelische Kirche überzog, aber unbeschadet ihrer generell antichristlichen Tendenz doch eine besondere antikatholische Spitze hatte: »Ohne Juda, ohne Rom wird erbaut Alldeutschlands Dom« lautete das Motto, zu dem sich schon der junge Adolf Hitler bekannt hatte.
Eine dezidiert antikatholische Stoßrichtung hatten ferner die in den Jahren 1935 bis 1937 geführten Devisen und Sittlichkeitsprozesse. In der vom Propagandaministerium gelenkten Berichterstattung wurden Bischöfe, Klerus und Ordensleute als korrupt, geldgierig und moralisch beispiellos verkommen hingestellt, wobei es, einem Wort Goebbels’ zufolge, weniger auf die Wirklichkeit als auf die Wirksamkeit ankam. Ständiger Druck, Schikanen, Pressalien und die öffentlichen Verleumdungskampagnen hatten die Situation dermaßen verschärft, dass ein kirchlicher Lagebericht Ende 1937 nüchtern festhielt: »Der christliche Teil des deutschen Volkes steht unter Ausnahmerecht.«
Die beiden Jahre vor Kriegsbeginn waren weniger von spektakulären Maßnahmen als von lautlosen SS und GestapoAktionen geprägt. Zahlreiche katholische Geistliche wurden verhaftet, mit Predigtverboten belegt oder aus ihrem Wirkungskreis ausgewiesen77. Der Einfluss, den beide Kirchen in wenn auch begrenzter Weise noch im Erziehungswesen ausüben konnten, wurde durch die Reduzierung bzw. Aufhebung des Religionsunterrichts, die Umwandlung der Bekenntnis in sog. Deutsche Schulen und den Abbau der privaten höheren Schulen ausgeschaltet78. Seit 1938/39 waren die Kirchen ganz auf ihren innerkirchlichen Wirkungsraum zurückgedrängt; es herrschte Friedhofsruhe.
Die katholische Kirchenführung hat diese schrittweise Einengung und fortlaufende Diffamierung nicht widerspruchslos hingenommen, sondern unter ständiger Berufung auf das Reichskonkordat protestiert. Dabei bediente sie sich zumeist des klassischen Defensivmittels der schriftlichen Eingabe; sie beschritt also den gleichen Weg, den sie auch im Kulturkampf gegangen war. Neben dem Vatikan, dessen scharfe Protestnoten auf diplomatischem Weg übermittelt wurden, protestierten die deutschen Bischöfe bei den zuständigen staatlichen Stellen, während konkurrierende Parteiinstanzen meist ignoriert wurden79. Sprecher des Episkopats war der greise Breslauer Erzbischof Adolf Kardinal Bertram (18591945), der sich bei seiner Abwehrtaktik freilich von der Absicht leiten ließ, nichts seinerseits zu unternehmen, was dem Regime einen Vorwand zu noch härterem Vorgehen hätte liefern können.
Hirtenbriefe wie interne Eingaben blieben jedoch gleichermaßen erfolglos. Es wurde immer offensichtlicher, dass das Regime in einer Art Salamitaktik den Weg der vollendeten Tatsachen beschritt. In dieser Situation erbat der Episkopat im Spätsommer 1936 vom Heiligen Stuhl ein freimütiges Wort des öffentlichen Protestes. Welche innerkirchliche Lagebeurteilung diesem Schritt zugrunde lag, zeigt ein Memorandum, das im Januar 1937 im Vatikan überreicht wurde. »Der entscheidende Träger des politischen Willens im Dritten Reich«, heißt es darin, »ist nicht die Regierung, sondern die Partei«. Sie wolle »grundsätzlich und definitiv die Vernichtung des Christentums«. Daher verzichte das Regime auch nur »vorübergehend« und aus taktischen Gründen »auf die Anwendung aller Machtmittel des totalitären Staates«; es warte lediglich einen ihm günstigen Zeitpunkt ab.

Enzyklika »Mit brennender Sorge« vom 14. März 1937
Papst Pius Xl. griff die ihm angetragene Anregung auf und protestierte in der Enzyklika »Mit brennender Sorge« vom 14. März 1937 auf ungewöhnlich scharfe Weise gegen die Kirchenpolitik des Regimes. »Der Anschauungsunterricht der vergangenen Jahre«, erfuhren alle Gläubigen in der Woche vor Ostern von der Kanzel, »enthüllt Machenschaften, die von Anfang an kein anderes Ziel kannten als den Vernichtungskampf«. Den zentralen Konfliktpunkt sah der Papst in der Ideologie der NSDAP: »Wer die Rasse oder das Volk oder den Staat oder die Staatsform … vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene … Ordnung der Dinge.« An seiner klaren Verurteilung der nationalsozialistischen Rassenlehre ließ der Papst auch später keinen Zweifel aufkommen, sondern forderte im April 1938 alle katholischen Universitäten bzw. theologischen Fakultäten auf, dem Antisemitismus in Wort und Schrift entgegenzutreten. Nicht zufällig wurden daher bei den Novemberpogromen auch die Palais der Kardinäle von München und Wien gestürmt. Zu öffentlicher Solidarisierung mit den verfolgten Juden und öffentlicher Verurteilung der Ausschreitungen durch die Bischöfe kam es gleichwohl nicht.
Durch die Enzyklika Pius’ Xl. konnten sich diejenigen Mitglieder des deutschen Episkopats bestätigt sehen, die von der Wirkungslosigkeit des bisherigen Eingabenkurses überzeugt waren und schärfere Abwehrmaßnahmen verlangten. Ihre Wortführer wurden die Bischöfe Konrad Graf von Preysing (Berlin) und Clemens August Graf von Galen (Münster). Sie vermochten es allerdings nicht, sich gegen den auf seinem defensiven Eingabenkurs beharrenden Breslauer Kardinal Bertram durchzusetzen. Immerhin stellte der gemeinsame Hirtenbrief vom 19. August 1938 öffentlich fest, der nationalsozialistische Kirchenkampf erstrebe die »Zerstörung der katholischen Kirche innerhalb unseres Volkes, ja selbst die Ausrottung des Christentums überhaupt«.
Da diese kirchenpolitischen Auseinandersetzungen den Gläubigen nicht bekannt wurden, reagierten große Teile des Kirchenvolks seit 1934 mit offenkundigem Unmut auf die als Schwäche ausgelegte öffentliche Zurückhaltung der Bischöfe84. Die seit 1934 sprunghaft steigende Beteiligung an kirchlichen Glaubenskundgebungen, die stark in die Öffentlichkeit wirkten, konnte nach den Recherchen der Staatspolizei nur als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der schrittweisen Einengung des kirchlichen Wirkungsbereichs verstanden werden, ein Zeichen der Solidarisierung mit der angegriffenen Kirche, aber eben auch ein Zeichen des Vorbehalts gegen den bischöflichen Beschwichtigungskurs. Die aus verletztem Gerechtigkeitsgefühl wie aus sozialer Milieugebundenheit und konfessionellem Selbstbehauptungswillen zu erklärende Abwehrhaltung führte mancherorts, wie im Oldenburger Kreuzkampf (wie in anderen Orten stritt man um die Kreuze und Lutherbilder im Klassenzimmer, die zugunsten von Hitlerbildern abgehängt werden sollten)85, zu eindrucksvollen Massenmobilisierungen und noch im Februar 1939, auf dem Höhepunkt von Hitlers Popularität, zur Ablehnung der nationalsozialistischen Schulpolitik durch 85 Prozent der erwachsenen westdeutschen Kirchenbesucher. Gerade Bischöfe wie der Münsteraner von Galen, die schon früh für klare und direkte Stellungnahmen bekannt waren, konnten besonderer Sympathie ihrer Diözesanen sicher sein.
Viele der weltanschaulichen Abwehrmaßnahmen sind auch der Eigeninitiative des Klerus zuzuschreiben, so gemeinsame Kanzelverlautbarungen oder die Broschürenaktion des Kölner Domvikars Teusch, dessen im Wettlauf mit der Gestapo vertriebene Flugschriften in vielen Millionen Exemplaren verbreitet waren. Auch die 1937 staatspolizeilich verbotenen >Katechismuswahrheiten<, eine antinationalsozialistische Glaubenslehre in Merksätzen, gehen auf Teusch zurück86. »Das Treiben des katholischen Klerus und dessen politischer Beauftragter«, kommentierte ein Karlsruher Gestapobericht solche Aktivitäten, sei in seiner Wirkung auf die Volksstimmung weit gefährlicher als die subversive Tätigkeit der KPD, die keine Massen mehr hinter sich bringen könne87, eine Einschätzung, die die ideologische Fixierung der Überwachungsorgane ebenso erkennen lässt wie die Überschätzung des Katholizismus, der den Machthabern durch seine größere Geschlossenheit, seine stärkere Verankerung im Kirchenvolk und seine transnationale hierarchische Gliederung besonders verdächtig war.

8. Ökumene der Bedrängnis 1939 bis 1945
Die grundsätzliche Einstellung der Kirchen zum Zweiten Weltkrieg
Seit 1938/39 weitestgehend auf den rein gottesdienstlichen Bereich zurückgedrängt und von einem stark ausgeweiteten Überwachungsapparat bespitzelt88, sahen die Kirchen sich bei Kriegsbeginn gleichwohl in die >nationale Pflicht< genommen. Daher fehlte es in beiden Kirchen  in wenn auch teilweise sehr unterschiedlicher Akzentuierung  nicht an öffentlichen Solidaritätsbekundungen, die man unbeschadet aller kirchenfeindlichen Maßnahmen dem Vaterland zu schulden glaubte89. Auch wurde die staatsbürgerliche Loyalität, die man der in Hitler verkörperten Staatsführung entgegenbrachte, bis zuletzt nicht bestritten. Äußerungen nationalen Überschwangs, wie sie für den Ersten Weltkrieg kennzeichnend waren, blieben indes die Ausnahme; sie fanden sich vor allem bei deutschchristlichen Kirchenleitungen. Die heute vielfach aufgeworfene Frage nach dem »gerechten Krieg« stellte sich den Zeitgenossen nicht. Es gab daher in beiden Kirchen nur wenige Kriegsdienstverweigerer.
Nachdem zunächst manches auf eine kirchenpolitische Beruhigung hingedeutet hatte, erfolgten doch schon bald weitere gravierende Eingriffe in das kirchliche Leben, die meist unter Berufung auf »kriegsbedingte Notwendigkeiten« ergingen und daher kaum anfechtbar waren9(. Wenn der Eindruck nicht täuscht, betrafen sie vor allem die katholische Kirche, die  namentlich in den (süd)westdeutschen Gebieten durch das Verbot, nach nächtlichem Fliegeralarm vor 10 Uhr morgens Gottesdienste abzuhalten, und die Aufhebung kirchlicher Feiertage besonders tangiert wurde. Reichsweite Auswirkungen hatte das Verbot aller Kirchenblätter 1941. In das gleiche Jahr fiel auch ein groß angelegter Raubzug von Partei und Gestapo gegen 123 Klöster und kirchliche Anstalten.
Öffentlichen Protesten hiergegen waren allerdings enge Grenzen gesetzt. Schon wenige Tage nach Kriegsbeginn hatte ein staatspolizeilicher Erlass lapidar gefordert: »Jeder Versuch, die Geschlossenheit und den Kampfwillen des deutschen Volkes zu zersetzen, ist rücksichtslos zu unterdrücken«, und der Reichsführer SS Heinrich Himmler ergänzte dies kurz nach dem Überfall auf die Sowjetunion durch die Verfügung, »sämtliche hetzerische Pfaffen … sowie Kommunisten und ähnliches Gesindel grundsätzlich auf längere Zeit einem Konzentrationslager (zuzuführen)«.
So überrascht nicht, dass die Kurve der KZEinweisungen seit Kriegsbeginn steil nach oben weist. Insgesamt wurden während des Krieges 447 deutsche Geistliche ins KZ Dachau eingeliefert, von denen 411 (92 Prozent) katholisch, 36 (= acht Prozent) evangelisch waren92. KZEinweisungen, Ermordungen und Hinrichtungen bilden freilich nur die Spitze eines Eisbergs. Die weitaus meisten Disziplinierungsmaßnahmen des Regimes  Verhöre, Schikanen, Predigtverbote, Geld oder Haftstrafen, Ausweisungen  lagen unterhalb dieser Verfolgungsschwelle. Von solchen Maßnahmen waren nach neuesten Erhebungen nahezu 50 Prozent des katholischen (Welt)Klerus betroffen93; Vergleichszahlen für die evangelische Kirche liegen nicht vor. Auch hier zeigt sich, dass nach einem vorläufigen Höhepunkt im Jahre 1937 die Masse der Vorfälle in die Kriegsjahre fällt. Dass nunmehr selbst harmlose regimekritische Äußerungen zu härtesten Repressalien führen konnten, belegt die ideologisch gesteigerte Verfolgungshysterie der Überwachungsorgane94.
Während die Kirchen den tyrannischen Alleinherrschaftsanspruch des Regimes immer drückender zu spüren bekamen und durch stets neue Drangsalierungen an ihre faktische Ohnmacht erinnert wurden, zeichnete sich gleichzeitig eine neue und ungleich gravierendere Herausforderung ab, nämlich die Eskalation der Verbrechen, wie sie 1939/40 mit der unter dem Tarnnamen »Euthanasie« vorangetriebenen Ermordung von ca. 70000 geistig oder psychisch Kranken ihren Ausgang nahm95, in der Verfolgung der Zigeuner, sonstiger Randgruppen und politischer Gegner, in der vielfach unmenschlichen Behandlung der Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen weitere Opfer fand und schließlich in der Deportation und Vernichtung der Juden gipfelte.
Dies hatte bereits 1940 im katholischen Episkopat zu ernsten Auseinandersetzungen darüber geführt, ob, wie Bischof von Galen 1941 schrieb, »die Fortführung des uns aufgezwungenen Abwehrkampfes in der bisherigen, fast ganz passiven Weise noch (zu) verantworten« sei. Wie Galen selbst diese Frage beantwortete, zeigen insbesondere seine drei berühmten Protestpredigten von Juli/August 1941 gegen Klostersturm, Euthanasiemorde und Gestapoterror, die, als Flugblätter von alliierter Seite über Deutschland abgeworfen, aber auch in zahllosen Abschriften verbreitet, weit über die katholische Kirche hinaus ihre Wirkung zeigten96. Er konnte hierfür auch auf Informationen durch einen leitenden Psychiater der Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel zurückgreifen, durch dessen Bericht sich die umlaufenden Gerüchte über die Vernichtung »lebensunwerten Lebens« zur Gewissheit verdichtet hatten. Wie Galen protestierten auch andere katholische und protestantische Kirchenführer; auf evangelischer Seite wurde der württembergische Landesbischof Theophil Wurm zum Wortführer.

November 1941: Hirtenwort
Im November 1941 kam ein Gremium katholischer Bischöfe und Ordensleute nach intensiver Beratung zu dem Schluss, dass nunmehr die Zeit für ein gemeinsames, von apostolischem Freimut getragenes Hirtenwort gekommen sei, das die »öffentliche Verletzung von göttlichem und natürlichem Recht« ebenso öffentlich verurteilen sollte. »Auch der nichtchristliche Teil in Deutschland, der unter der Last der Rechtlosigkeit und seiner eigenen Ohnmacht gegenüber Unrecht und Gewalt leidet«, heißt es zur Begründung, »erwartet Hilfe und Verteidigung der allgemein menschlichen Rechte durch den deutschen Episkopat«. Im Übrigen dürfe nicht die Frage von Erfolg oder Misserfolg von Bedeutung sein, sondern nur die Frage: »Was ist im gegenwärtigen Augenblick unsere Pflicht? Was verlangt das Gewissen? Was erwartet Gott, das gläubige deutsche Volk von seinen Bischöfen?«98
Auch in der evangelischen Bekennenden Kirche wurde diese Frage gestellt, und so kam der Vorschlag auf, mit einer (ersten) gemeinsamen Aktion beider Kirchen bei Hitler vorstellig zu werden. Aus einem bereits vorliegenden Hirtenbriefentwurf wurde eine gemeinsame Denkschrift an Hitler gefertigt, die im Dezember 1941 der Reichskanzlei zugestellt wurde, dort freilich das Schicksal aller Eingaben teilte, nämlich nicht beachtet zu werden.

Der »Menschenrechtshirtenbrief« vom März 1942
Die gleichzeitig einsetzenden Deportationen der Juden hatten unterdessen auch Kardinal Michael von Faulhaber in München alarmiert. Vergeblich verlangte er vom Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenzen einen Protest des Gesamtepiskopats, »damit wenigstens die härtesten Härten, die einmal auf unser Volk zurückfallen, vermieden werden«lm. Immerhin entschloss sich die Mehrheit der Bischöfe angesichts der chronischen Überbedenklichkeit des Breslauer Kardinals, zumindest den Inhalt der Denkschrift den Gläubigen bekanntzumachen.
Als sog. »Menschenrechtshirtenbrief« wurde er im März 1942 in zahlreichen süd- und westdeutschen Diözesen verlesen. »Jeder Mensch«, heißt es darin mit Blick auf die aktuellen Geschehnisse, »hat das natürliche Recht auf Leben und auf die zum Leben notwendigen Güter«, und die Bischöfe fügten hinzu: »Wir Bischöfe werden nicht unterlassen, gegen die Tötung Unschuldiger Verwahrung einzulegen. Niemand ist seines Lebens sicher, wenn nicht unangetastet dasteht: Du sollst nicht töten!«
Noch mehrfach wurden  stets gegen das Veto Kardinal Bertrams aus Breslau gemeinsame Hirtenbriefe verlesen, so im Dezember 1942 ein Kanzelwort über die Grundsätze des Rechts und als letzte gemeinsame Kundgebung am 12. September 1943 ein Hirtenwort über die Zehn Gebote als Lebensgesetz der Völker. Darin heißt es: »Tötung ist in sich schlecht, auch wenn sie angeblich im Interesse des Gemeinwohls verübt würde: an schuld und wehrlosen Geistesschwachen und kranken, an unheilbar Siechen und tödlich Verletzten, an erblich Belasteten und lebensuntüchtigen Neugeborenen, an unschuldigen Geiseln und entwaffneten Kriegs oder Strafgefangenen, an Menschen fremder Rassen und Abstammung. Auch die Obrigkeit kann und darf nur wirklich todeswürdige Verbrecher mit dem Tode bestrafen«.
Vier Wochen später erging ein ähnlicher Mahnruf der zwölften Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union in Breslau, während Landesbischof Wurm in Stuttgart am 1. Oktober 1943 öffentlich feststellte: »(Unser Volk) hat große Schuld auf sich geladen durch die Art, wie der Kampf gegen Angehörige anderer Rassen und Völker vor dem Krieg und im Krieg geführt worden ist … Können wir uns wundern, wenn wir das nun auch zu verspüren bekommen? Und wenn wir’s nicht gebilligt haben, so haben wir doch oft geschwiegen, wo wir hätten reden sollen!«

9. Bilanz

Unterschiede der Konfessionen
Ein Bilanzierungsversuch kirchlichen Verhaltens im Dritten Reich wird im Wissen um die je besonderen Voraussetzungen, unter denen beide Kirchen die nationalsozialistische Herausforderung zu bestehen hatten, nur zu sehr allgemeinen Aussagen kommen können. Unbestreitbar dürfte sein, dass es der katholischen Kirche dank ihrer größeren Geschlossenheit besser gelang, den ihr verbliebenen Wirkungsraum von nationalsozialistischer Infiltration freizuhalten und die überlieferte Glaubensund Sittenlehre »unter Erschwernissen aller Art« (Max Pribilla) unverkürzt zu bewahren. Dem stand auf evangelischer Seite die traditionell stärkere landeskirchlichkonfessionelle und theologische Zersplitterung des Protestantismus, seit 1933 dann namentlich die Bewegung der Deutschen Christen entgegen, welch letztere sich in ihrer theologischen und kirchlichen Praxis bedenklich weit mit den Machthabern einließen. Auch die Spaltung der Bekennenden Kirche aufgrund fortdauernder theologischer Differenzen, die sich teilweise erst während des Krieges überbrücken ließen, hat eine einheitliche Abwehrhaltung erschwert; die Meinungsgegensätze im katholischen Episkopat waren dagegen stärker von Gesichtspunkten der kirchenpolitischen Taktik bestimmt.

Grenzen kirchlichen Widerstands
Freilich war beiden Kirchen gemeinsam, dass sie ihr Festhalten am Bekenntnis, ihren Widerspruch gegen die nationalsozialistische Weltanschauung nicht als politischen Widerstand und schon gar nicht als generelle Aufkündigung der staatsbürgerlichen Loyalität verstanden. Aktiver Kampf gegen das Unrechtssystem war nach herkömmlichem Kirchenverständnis nicht Aufgabe der Kirchen und konnte nach aller geschichtlichen Erfahrung auch nicht Aufgabe der Kirchenmitglieder sein, sondern blieb individueller Gewissensentscheidung vorbehalten. Dietrich Bonhoeffer und Alfred Delp, die hier stellvertretend für viele andere genannt seien, haben daher als Einzelchristen den Weg zum politischen Widerstand gefunden, nicht etwa als offizielle Vertreter ihrer Kirchen104.
Vermochten die Kirchen es somit nicht, sich aus dem Dilemma von entschiedener Weltanschauungsopposition und gleichzeitiger Loyalität zu Führer und Reich zu lösen, so ist doch andererseits Klaus Scholder zuzustimmen, dass der »Nationalsozialismus als politische Religion von der Kirche aus nicht genauer zu treffen (war) als dort, wo man ihm im Namen Gottes den Totalitätsanspruch auf den ganzen Menschen bestritt«. Indem die Obrigkeit an die ihr durch göttliches und allgemeines Menschenrecht gesetzten Grenzen erinnert wurde, war »der Kampf um die Freiheit und Reinheit der (christlichen) Verkündigung zugleich ein politischer Kampf gegen die tragenden Kräfte der nationalsozialistischen Herrschaft«105. So haben es auch die Machthaber gesehen und daher die Kirchen mit ihrem Hass verfolgt.
In der Tat lag die »eigentliche Bedeutung der Kirchen für die Opposition gegen den Nationalsozialismus … in der von ihnen ausgehenden moralischen Bekräftigung als Bewahrer christlicher Ethik und bestimmter Freiräume innerhalb einer gleichgeschalteten Öffentlichkeit«106. Wie wir aus den Viten zahlreicher Opfer des 20. Juli 1944 wissen, hat dies seine Wirkung auf die zu aktivem Handeln bereiten Kreise des deutschen Widerstands nicht verfehlt. Daher konnte Hans Rothfels, der Nestor der deutschen Widerstandsforschung, der das Geschehen als Historiker und Jude aus dem Exil verfolgt hatte, 1948 fragen, »ob die Kirchen nicht dadurch, dass sie innerhalb ihres eigensten Bereiches sich zur Wehr setzten, die Kräfte des Widerstands mit einem härteren Kern und einer schärferen Schneide versahen, als irgendeine äußere Revolte es hätte tun können«.
Gleichwohl herrscht heute in weiten Teilen der kirchlichen Zeitgeschichtsforschung ein anderer Blickwinkel vor. Wer im Wissen um das ganze Ausmaß nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und in der moralischen Selbstgewissheit des Nachgeborenen zurückblickt, den muten die Versuche der Kirchen, dem Unheil Einhalt zu gebieten, den muten ihre Proteste und Hilfsmaßnahmen allzu zaghaft und halbherzig an. Ein verbreiteter Vorwurf lautet, die Kirchen hätten  wenn zwar auch selbst in Bedrängnis geraten und im Falle des »Endsieges« der Rache der Machthaber ausgesetzt  sich doch zu sehr auf die Verteidigung der eigenen Institution beschränkt, zu stark in den Kategorien formaler Zuständigkeit gedacht und darüber das sie umgebende Leid nicht genügend wahrgenommen.
Ohne Zweifel ist hier eine Grundfrage kirchlichen Selbst und Amtsverständnisses aufgeworfen, die noch keineswegs zureichend geklärt ist l08. Ging die Pflicht zu lautem Protest allem anderen vor, so durfte man nicht auf die Opfer achten (womit im übrigen noch nichts darüber gesagt ist, ob und wie weit die Gläubigen einen solchen Konfrontationskurs mitgetragen hätten). Stand dagegen humanitäre Hilfe für die Verfolgten an erster Stelle, dann durften keine Repressalien provoziert werden, die diese Hilfe hätten erschweren können. Wurde schließlich die Sicherung der Seelsorge als wichtigste Aufgabe der Kirche betrachtet, und Kardinal Bertram war beispielsweise dieser Meinung109, dann, allerdings, war selbst um den Preis eines Verlusts an öffentlicher Glaubwürdigkeit tunlichst Zurückhaltung geboten.

Wie die geschilderten Auseinandersetzungen zeigen, wurde um diese Probleme schon unter den Zeitgenossen gerungen, ohne dass man in den beiden Kirchen zu einheitlicher und allgemein verbindlicher Antwort gefunden hätte. Eine Zeit solch beispielloser Herausforderung wie das Dritte Reich war wohl »nicht die Stunde der Gremien, sondern des auf sich selbst gestellten Einzelnen« (Ludwig Volk). Insofern hatte nach dem Zusammenbruch auch jeder einzelne Christ sein Gewissen daraufhin zu befragen, welche (persönliche) Schuld er in diesen zwölf Jahren auf sich geladen hatte.
An eindringlichen Aufrufen hierzu hat es in beiden Kirchen nicht gefehlt. Im ersten Nachkriegshirtenbrief der katholischen Bischöfe vom 23. August 1945 war daher die Anerkennung der Glaubenstreue des Kirchenvolks mit dem Schuldbekenntnis verbunden: »Furchtbares ist schon vor dem Kriege in Deutschland und während des Krieges durch Deutsche in den besetzten Ländern geschehen. Wir beklagen es zutiefst: Viele Deutsche, auch aus unseren Reihen, haben sich von den falschen Lehren des Nationalsozialismus betören lassen, sind bei den Verbrechen gegen menschliche Freiheit und menschliche Würde gleichgültig geblieben; viele leisteten durch ihre Haltung den Verbrechen Vorschub, viele sind selber Verbrecher geworden. Schwere Verantwortung trifft jene, die auf Grund ihrer Stellung wissen konnten, was bei uns vorging, die durch ihren Einfluss solche Verbrechen hätten hindern können und es nicht getan haben, ja diese Verbrechen ermöglicht und sich dadurch mit den Verbrechern solidarisch erklärt haben«. Und zwei Monate später, am 18. Oktober 1945, bekannte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in seiner alsbald lebhaft umstrittenen Stuttgarter Erklärung:

»Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben«